700 Politiker beten einen Öltank an

Eigentlich hatte Bert Brecht sein Gedicht genannt „700 Intellektuelle beten einen Öltank an“. Heute würde ich eher umdichten „700 Ingenieure“ – oder eben „700 Politiker“. Vor zwei Wochen schrieben wir Bundestagsabgeordnete der Regierungskoalition an, was es mit der Beschränkung auf sich habe, dass nur Erdgas in Natura 2000-Gebieten nicht gefördert werden soll und das dabei entstehende Lagerstättenwasser dort nicht versenkt wird. Von Erdöl-Regulierung ist im Naturschutzgesetz nicht mehr die Rede. Herr Grosse-Brömer (CDU) hatte ausweichend bzw. nicht auf die Frage geantwortet und auf entsprechende Nachfrage seinen Fraktionskollegen Dr. Pfeffer vorgeschoben. Den haben wir dann auch angeschrieben und bisher nichts gehört. Frau Stadler (SPD) schwieg bisher ganz – zwei Stunden nach Veröffentlichung dieses posts ließ sie heute Mittag ihr Büro mitteilen, sie habe die Anfrage an „die Fachabteilungen“ weitergeleitet.

Die Vermutung liegt nahe, dass das Schweigen auf schlechtem Gewissen beruht. Die Entscheidung, Erdölförderung in Natura 2000-Gebieten nicht zu untersagen, liegt so sehr im Interesse der Ölfirmen, dass eine gezielte Lobby-Beeinflussung unterstellt werden darf. Naturschutzgebiete kann man notfalls von der Seite unterbohren (Horizontalbohrungen von 3 Kilometer Länge und mehr sind heute möglich – und unter Naturschutzgebieten nicht untersagt). Natura 2000-Gebiete sind in der Regel größer. Da wäre es doch zu schade, wenn dort weder gefördert nach Lagerstättenwasser versenkt werden dürfte. 700 Politiker beten einen Öltank an – das dürften die Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition sein, plus ein paar Landesminister und örtliche Würdenträger, das passt schon.

Am schönsten klingt der Text in der vierstimmigen Chor-Version von Carl Orff. Das Gedicht ist übrigens vor 87 Jahren geschrieben worden. The times they are a-changing? Naja.

Ohne Einladung
Sind wir gekommen
Siebenhundert (und viele sind noch unterwegs)
Überall her,
Wo kein Wind mehr weht,
Von den Mühlen, die langsam mahlen,
Und den Öfen, von denen es heißt,
Daß kein Hund mehr vorkommt.

Und haben dich gesehen
Plötzlich in der Nacht,
Öltank.

Gestern warst du noch nicht da,
Aber heute bist nur du mehr.

Eilet herbei, alle
Die ihr abgesägt den Ast, auf dem ihr sitzet,
Werktätige!
Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.

Du Häßlicher,
Du bist der Schönste,
Tue uns Gewalt an,
Du Sachlicher!

Lösche aus unser Ich!
Mach uns kollektiv!
Denn nicht wie wir wollen
Sondern wie du willst.

Und bist du nicht gemacht aus Elfenbein
Und Ebenholz, sondern aus
Eisen.
Herrlich, Herrlich, Herrlich!
Du Unscheinbarer!

Du bist kein Unsichtbarer,
Nicht Unendlich bist du!
Sondern sieben Meter hoch.
In dir ist kein Geheimnis
Sondern Öl.
Und du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich
Sondern nach Berechnung.

Was ist für dich Gras?
Du sitzest darauf.
Wo ehedem Gras war
Da sitzest jetzt du, Öltank,
Und vor dir ist ein Gefühl
Nichts.

Darum erhöre uns
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes
Im Namen der Elektrifizierung
Der Ratio und der Statistik!

(Bertolt Brecht 1929)

Text: Ingo Engelmann

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