Der Kimmeridge-Coup: Das Maß ist voll

Kurzfristig hatte die BI „Kein Fracking in der Heide“ zu einer Plenumssitzung eingeladen, um die Hintergründe der vor zwei Wochen bekannt gewordenen Erweiterung des Aufsuchungsfeldes Oldendorf um Teile der Gemeinden Seevetal und Stelle zu erläutern. Vierzig interessierte Bürger saßen in der Dibberser Mühle, als Renate Maaß zunächst die örtlichen und historischen Zusammenhänge darstellte. Eine lebhafte Diskussion war mit dem offiziellen Schluss der Veranstaltung nicht beendet, noch lange standen kleine Gruppen zusammen und erörterten, wie und wo am besten Widerstand zu leisten wäre.

Wo sucht Kimmeridge – und mit welchem Ziel?

Die Firma Kimmeridge hat das Gebiet, in dem sie nach Öl sucht, um die Südhälfte des Aufsuchungsfeldes Oldendorf verkleinert (Amelinghausen, Eyendorf, Behringen und andere Dörfer gehören jetzt nicht mehr dazu). Gleichzeitig hat Kimmeridge die Aufsuchungserlaubnis für ein Gebiet erhalten, das die Firma von Anfang an gern erkunden wollte, aber bisher nicht durfte: In Teilen der Gemeinde Seevetal und Stelle war bis zum 14.August 2015 die Exxon/Shell-Tochter BEB Inhaber einer Förder-Lizenz (Bewilligung).

Es geht um eine Fläche zwischen Fünfhausen und Meckelfeld, Fliegenberg, Stelle und Maschen. Hier wurde seit den fünfziger Jahren nach Öl gebohrt und es wurde gefördert. Wenn man hier nach Öl sucht, muss man sich an den Verlauf der Dogger-Schichten halten. Das ist eine geologische Formation, die von Reitbrook in den Vierlanden aus unter der Elbe wie ein Haken in dieses Gebiet hineinragt und dann noch eine kleine Insel im Friesenwerder Moor bildet. Hier wurde Öl gefördert. Es gibt hunderte von alten Bohrstellen: von Friesenwerdermoor (Kreuzung Großmoordamm / Hagholtweg) über den Overdamm bis hin zu den Schachbrettblumenwiesen am Junkersfeld (Naturschutzgebiet Untere Seeveniederung) und über die Wiesen zwischen dem Steller See und der Elbe bei Rosenweide und Fliegenberg zieht sich der Dogger, und weitere Dutzende von Bohrstellen liegen nahe Meckelfeld beim Pulvermühlenteich und in Maschen Richtung Güterbahnhof. Wo früher Öl gefördert wurde, werden heute die Güterwaggons sortiert.

Hier überall wurde bis in die neunziger Jahre Öl auf die damals übliche Art und Weise gefördert: senkrecht runterbohren, das Öl nach oben fließen lassen und abtransportieren. Man kann davon ausgehen, dass auf diese Weise aus den Öllagerstätten ungefähr dreißig bis vierzig Prozent des unten vorhandenen Öls nach oben gebracht wurden. Mit neuen Techniken lässt sich da noch viel machen. Man kann mit Horizontalbohrungen unter der Erde in die Fläche gehen, und man kann die Vorräte durch chemische und mechanische Methoden deutlich weiter abbauen (z.B. Fracking). Daher glaubt Kimmeridge, dass zwanzig Jahre nach dem Förder-Aus der Firma Wintershall hier heute wieder lohnend gebohrt werden kann.


Warum will das hier in der Bevölkerung keiner?

Die Trinkwasservorräte im Kreis Harburg sind bisher nicht so geschützt, wie es ratsam wäre. Die Ausweisung von Wasserschutzgebieten ist seit fünfzehn Jahren nicht modernisiert worden, weil immer auf den Abschluss der Vertragsverhandlungen mit HamburgWasser bezüglich der Heidewasserentnahme gewartet wurde. Das dauert und dauert. Eine wesentliche Ressource der Wasserbeschaffung sind die eiszeitlichen Rinnen, die in ein- bis vierhundert Meter Tiefe von Süden kommend unter der Elbe hindurch laufen. Im Kreis Harburg sind dies hauptsächlich die Wintermoorer Rinne und die Hanstedter Rinne. Es sollte gewährleistet werden, dass im Bereich dieser Rinnen keine Durchbohrungen des Grund- und Trinkwasserhorizonts stattfinden können. Ein passendes Instrument für diesen Schutz ist die Raumordnung im Land Niedersachsen sowie die regionale Raumordnung im Kreis Harburg. Leider zeigt sich das Land bisher unwillig, dieses Thema in die Raumordnung aufzunehmen. Im Kreis Harburg dauert diese Debatte an, im April wird sich der zuständige Bau- und Planungsausschuss des Kreistages mit der Thematik befassen.

Die Erfahrungen in den USA mit über fünfzehn Jahren Schiefergasfracking zeigen, dass nach und nach die befürchteten Verunreinigungen des Trinkwassers eintreten und auch andere Begleiterscheinungen wie zunehmende Erdstöße zu verzeichnen sind. Auch wenn Umweltschutzregelungen hierzulande strenger sind als in den USA und Firmen daher sorgfältiger arbeiten müssen – das Verschlechterungsverbot der europäischen Wasserrahmenrichtlinie muss zur Folge haben, dass in Trinkwassergewinnungs- und Entstehungsgebieten keine Risiken in Gestalt von Öl- und Gasbohrungen eingegangen werden.

Hinzu kommen besorgniserregende Nachrichten aus Gebieten, in denen in unserer Nachbarschaft seit langem Gas und Öl gefördert werden. Erhöhte Krebsraten treten in einzelnen Bevölkerungsgruppen im Landkreis Rotenburg auf, als Todesursache kommen in von der Gasindustrie besonders belasteten Gebieten immer häufiger Umweltgifte in Verdacht. Daher wird immer deutlicher: Nicht nur Fracking, sondern auch der riskante Alltagsbetrieb in der Gas- und Ölförderung bringt unberechenbare Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung mit sich.

Die Entsorgung des belasteten Bohrschlamms (früher in Gruben direkt neben der Bohrstelle – hier lagern unabsehbare Altlasten) ist auch heute noch problematisch. Niedersachsen hat keine Deponie für das Gefahrgut, bisher wird es hauptsächlich nach Nordrhein-Westfalen transportiert. Es ist schon tonnenweise Bohrschlamm auf der Straße gelandet, wenn einer dieser LKWs verunglückte. Es beruhigt wenig, wenn der zuständige Mitarbeiter der Bodenbehörde des Landkreises Harburg darauf hinweist, dass die Altlasten von chemischen Reinigungen als weit bedrohlicher eingestuft werden und man sich daher um die alten Bohrschlammgruben erst in zweiter oder dritter Linie kümmern werde (Hamburger Abendblatt 08.03.2016). Grundsätzlich und theoretisch sind Tonschichten zweischen Altlasten und dem Grundwasser ein guter Schutz. Faktisch sind sie aber meist nicht so einheitlich und undurchlässig, wie im Modell angenommen: Risse, Durchbohrungen, Bruchlinien finden sich gerade bei unserer Bodenkonstellation nicht selten. Bürger machen sich da offensichtlich mehr Sorgen als Behörden.

Woher kommt dieses Misstrauen gegenüber den Behörden?

Das Landesbergamt, das niedersächsische Wirtschaftsministerium wie auch die Landesregierung sind in den Augen der BI „Kein Fracking in der Heide“ zunehmend unglaubwürdig geworden. Beispiele dafür wurden auf dieser Homepage wiederholt berichtet. Auch die aktuellen Vorgänge bestätigen dieses Misstrauen. Die BI fühlt sich vom LBEG hinters Licht geführt und von der Landespolitik im Stich gelassen.

Der BI war seit langem bekannt, dass für das nördlich an das Hauptfeld Oldendorf angrenzende Gebiet eine begrenzte Bewilligung zur Ölförderung für die Firma BEB bis zum 14. August 2015 ausgesprochen war. In den Monaten vor Ablauf dieser Frist fragten wir daher wiederholt das LBEG, ob eine Verlängerung der Bewilligung geplant sei oder ein anderer Interessent dort einsteigen wolle. Das war für das LBEG lästig, aber wir wussten aus Erfahrung: Wir erfahren nur etwas, wenn wir immer wieder nachfragen. Zuletzt wollten wir in einer ausführlicheren Anfrage im Juli 2015 unter anderem wissen: „Gibt es anderweitige Anträge hinsichtlich der Bewilligung Meckelfeld… welche Firma hat sie eingereicht, welcher Zeitplan ist avisiert?“

Das LBEG antwortete mit Datum vom 18.08.2015 kurz und knapp: „Das Bewilligungsfeld Meckelfeld wird zum 14.08.2015 auslaufen, da die Inhaberin BEB schriftlich auf eine Verlängerung verzichtet hat. Für dieses Gebiet liegen dem LBEG derzeit keine Anträge vor.“

Aha, dachten wir von der BI, der Bereich Meckelfeld ist also wieder frei. So wie man es auf dem Kartenserver des LBEG in der Folgezeit auch ablesen konnte – keine Bewilligung, keine Aufsuchungserlaubnis in Meckelfeld. Wenn sich etwas ändert, werden wir es erfahren aus den Veröffentlichungen des LBEG über neue Aufsuchungserlaubnisse, Bewilligungen oder ähnliches (dachten wir). Weit gefehlt: Als am 01. März 2016 auf der Homepage des LBEG die Verkleinerung der drei Kimmeridge-Aufsuchungsfelder mitgeteilt wurde, fehlte jeglicher Hinweis auf eine gleichzeitig vorgenommene Integration des früheren BEB-Feldes Meckelfeld in das neue Aufsuchungsfeld Oldendorf-Verkleinerung. Auf unsere umgehend gestellte Anfrage über die rechtliche Grundlage dieser Veränderung teilte das LBEG am 10. März 2015 mit: Bergbauberechtigungen würden nach dem „Brutto-Prinzip“ vergeben, ein Erlaubnisfeld werde in seinen äußeren Umrissen angegeben. Wenn zeitweise eine andere Bewilligung oder Erlaubnis für einen Teil des Aufsuchungsfeldes gelte, falle diese Fläche nach Beendigung dieser anderweitigen Bescheide dem Aufsuchungsfeld zu. Das sei alles ganz normal, wurde suggeriert.

Dem Kartenserver des LBEG war zu keiner Zeit zu entnehmen, dass das Aufsuchungsfeld Oldendorf in seiner Erlaubnis vom 01.Januar 2013 auch das Bewilligungsfeld Meckelfeld umfasst, die Aufsuchung für die Dauer der Bewilligung hier aber nicht ausgeübt werden könne. Vielmehr gehörte Meckelfeld in der Grafik des LBEG einfach nicht dazu. Es gab im Kartenserver kein irgendwie geartete „Brutto“-Grenze, die auch Meckelfeld umfasst hätte.

Für die BI heißt das: Von Anfang an hat das LBEG hier vermutlich versucht, Nebelkerzen zu werfen und zu vertuschen, dass Kimmeridge sein Ziel, im Feld Meckelfeld auch erkunden zu dürfen, mittelfristig umsetzen werde. Daher wird hier nun eine Rechtsauffassung konstruiert, die es erlaubt, das Bewilligungsfeld einfach so Kimmeridge zuzuschlagen, ohne dass darüber die Öffentlichkeit informiert wird, die betroffenen Kommunen befragt werden oder eine Mitteilung im Ministerialblatt erforderlich wäre. Das ist praktisch, aber wirkt auf einige Bürger doch wie der Versuch, rechtliche Regelungen zu umgehen. Zumindest darf festgestellt werden: Mit der beschwichtigenden Antwort auf eine offizielle Anfrage nach dem NUIG (Niedersächsisches Umweltinformationsgesetz) hat das LBEG die BI und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt.

Aber auch die Kimmeridge-Vertreter, mit denen die BI im April 2015 ein langes Gespräch führte, haben die BI hintergangen. Sie erweckten noch den Eindruck, als wenn ihnen das Feld Meckelfeld zu ihrer ausgesprochenen Missfallen entgangen sei. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie darüber sehr enttäuscht waren (oder taten doch zumindest so). Man darf annehmen, dass zu dem Zeitpunkt längst eine Übereinkunft zwischen Exxon (oder deren Tochter BEB) und Kimmeridge bestand, dass die Lizenzinhaber die Bewilligung nicht verlängern und dann Kimmeridge einspringen wird. Dass eine Firma uns an der Nase herumführt, wundert uns nicht. Dass Behörden wie das LBEG da mitspielen und ins selbe Horn blasen, ist mehr als ärgerlich. Rechtlich bleibt der ganze Ablauf zu prüfen – aber letztlich geht es um politische Fragen und Haltungen. Wir erwarten, dass LBEG und das vorgesetzte Wirtschaftsministerium sich dazu äußern, aber wären nicht überrascht, wenn sie schweigen wie sonst in aller Regel auch.

Das Land Niedersachsen hätte die Möglichkeit, über die Fensterreden zur kritischen Haltung gegenüber Fracking hinauszugehen und nicht nur auf die Entscheidungsnotwendigkeit auf der Berliner Bühne hinzuweisen. Damit könnte die Regierung ein Zeichen setzen, dass die wirtschafts- und firmenfreundliche LBEG-Strategie nicht die gesamte Politik des Landes wiedergibt. Die niedersächsische Raumordnung ist ein Feld, das allein Niedersachsen zu bestimmen hat. In Nordrhein-Westfalen wurde das dortige Landesentwicklungsprogramm zur Festlegung einiger Positionen genutzt: Fracking soll in bestimmten Erdschichten und unter bestimmten Voraussetzungen verboten sein. Die Regelungen bleiben löcherig, und BIs sind damit sicher nicht zufrieden. Aber das Land hat Farbe bekannt. In Niedersachsen wird Fracking und alles, was damit zu tun hat, aus der Landesraumordnung ausgespart. Weder Wirtschaftsminister Lies (SPD) noch Umweltminister Wenzel (Grüne) haben hier durchgegriffen und ihre vollmundigen Äußerungen zu Gefahren des Fracking in Landespolitik übersetzt.

Was ist zu tun?

Es hilft nicht abzuwarten und zu hoffen, dass alles nicht so schlimm werden wird. Kommunalpolitiker müssen Maßnahmen ergreifen, damit auf ihrem Gemeindegebiet keine Vorbereitungen zum Fracking getroffen werden können – und dazu gehören beispielsweise die von der Firma Kimmeridge angekündigten seismologischen Untersuchungen. Dazu muss die Firma Grundstücke betreten. Das werden in aller Regel landwirtschaftliche Flächens sein. Die Bauernschaft und ihre Verbände sind aufgerufen, hier klar Stellung zu beziehen (wie das andernorts, zum Beispiel im Bereich Sittensen /Rotenburg schon geschehen ist). Die Gemeinde Stelle wie auch der Landkreis Harburg haben sich hier eindeutig positioniert: Keine Nutzung öffentlicher Wege und Grundstücke für Kimmeridge!

Am 27. April 2016 wird die Regionale Raumordnung für den Landkreis Harburg im Bau- und Planungsausschuss des Landkreises beraten. Die Sitzungen des Ausschusses sind öffentlich.

Am 11. September 2016 sind in Niedersachsen Kommunalwahlen. Jeder bestimmt mit, wie beherzt die Kommunalparlamente die Interessen ihrer Bürger und ihrer Gemeinde vertreten. Die BI „Kein Fracking in der Heide“ fordert auf: Keine Stimme für Fracking!

In den nächsten Wochen finden Demonstrationen statt, auf denen Bürger ihre Kritik an der Gas- und Ölförderung sowie an den politischen Rahmenbedingungen, die die Risiken dieser Technik mit bestimmen:

Sonnabend, 26. März 2016, 11-15 Uhr: Rotenburger Ostermarsch gegen Gasbohren
Rotenburg/Wümme
Ein Bündnis aus Umweltgruppen, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen ruft auf zu einer Demonstration mit abschließender Kundgebung. Redner sind u.a. der Rotenburger Bürgermeister Weber, Abgeordnete aus Bundestag und Landtag sowie Vertreter von Bürgerinitiativen.
Treffpunkt: Berufsbildende Schulen, Verdener Straße
Abschlusskundgebung: Am Neuen Markt

Sonnabend, 23. April 2016: Demonstration gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA
Ein breites Bündnis aus Parteien (Die Linke, Grüne), Gewerkschaften (z.B. verdi), Verbänden (Der Paritätische, NABU, Verband der Schriftsteller usw.) ruft auf, anlässlich des Besuchs von US-Präsident Obama (er besucht mit Angela Merkel die Hannover-Messe) in Hannover deutlich zu machen: Wir wollen keine lascheren Umweltregelungen oder Privatgerichte! Stoppt CETA und TTIP!
Treffpunkt 12 Uhr, Opernplatz, Hannover
Wenn man mit dem „Heidesprinter“-Zug in Buchholz um 8:09 abfährt, ist man um 10:08 in Hannover und hat Zeit, in Ruhe den kurzen Weg bis zum Opernplatz zu gehen.

Am Dienstag, 12. April 2016, findet in Buchholz ein Bildervortrag des Fotografen und Journalisten Alexander Neureuter-Tetsch statt:
„Die wahre Katastrophe ist das Vergessen“ – Atomkraft, Erdgas-Fracking, Braunkohle – das sind die drei Ansatzpunkte der derzeit anstehenden und momentan eher schleppend verlaufenden Energiewende.  Was diese Umweltthemen verbindet, ist die ungeheure Langfristigkeit der Umweltfolgen und die Gefahr des Vergessens.
Ort: Stadtbücherei, Kirchenstraße 6, 19 Uhr
Veranstalter: Klimaforum Buchholz/Greenpeace, BI „Kein Fracking in der Heide“, Runder Tisch Natur-, Umwelt- und Tierschutz Buchholz

http://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/article207132483/Giftige-Schlaemme-Das-schwarze-Erbe-der-Erdoelfoerderung.html#

http://ttip-demo.de/home/aufruf/

http://www.neureuters.de/vortr%C3%A4ge/

(Ingo Engelmann)

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