Die Ratlosigkeit des Bürgers im Einwirkungsbereich von Bergschäden

Achtung: Dieser Text gefährdet möglicherweise ihren gesunden Menschenverstand. Es können Schäden durch juristische Gedankenspiele entstehen. Wenn Sie diesen Text nicht verstehen, liegt es am Text oder am verhandelten Sachverhalt, in keinem Fall aber an Ihnen.

Bohrlochbergbau wird in der Aufsuchung und Förderung von Erdgas und Erdöl betrieben. Nachdem schon seit Jahrhunderten bekannt ist, dass der Kohle- und Kalisalzbergbau zu Erdbewegungen und Senkungen der Erdoberfläche führen kann, ist seit einigen Jahren auch durch Politik und Behördern anerkannt, dass Gas- und Ölförderung zu Erdstößen führen kann. Das kann im Einzelfall mit bestimmten technischen Verfahren (z.B. Fracking) zu tun haben, viel häufiger aber wird es durch die ganz „normalen“ Förderprozesse ausgelöst.

Diese Erkenntnisse führen dazu, dass neue gesetzliche Regelungen den Geschädigten durch Erdstöße (z.B. Hausbesitzer) besser in die Lage versetzen sollen, seine Rechte durchzusetzen (z.B. Schadensersatz). Im letzten Herbst wurde das Bundesberggesetz geändert: In §120 wird nun festgehalten, dass die Bergschadensvermutung nun auch für den Rohrlochbergbau gilt, nicht nur für den Grubenbergbau wie bisher. Das heißt: Wenn es bergbauliche (Bohr- und Förderungs-)Tätigkeiten gibt und im definierten Einwirkungsbereich dieser Tätigkeit Schäden auftreten, die grundsätzlich nach Bergschäden aussehen, dann wird dieser Schaden dem Bergbauunternehmen zugerechnet. Auf Deutsch: Wenn Exxon da bohrt und im berechneten Einwirkungsbereich dieser Bohrung gibt es Risse am Haus, dann ist Exxon schadensersatzverpflichtet – es sei denn, Exxon kann seine Unschuld beweisen. Juristisch entspricht dies nicht der Beweislastumkehr, die in diesem Zusammenhang oft genannt wird (1)!

Das hört sich so an, als seien die Rechte von Hauseigentümern, die Schäden an ihrem Gebäude feststellen und in einem Gas- oder Ölfördergebiet leben, gut geschützt. Wichtig ist aber der Begriff des Einwirkungsbereiches. Das ist ein technisch-juristischer Spezialbegriff und kennzeichnete ursprünglich den Trichter, der von einer Grube ausgehend nach oben die möglichen Gebiete umreißt, in denen durch Bodensenkung oder Rissbildung oben was kaputt gehen kann. Wer außerhalb solchermaßen definierter Einwirkungsbereiche lebt, hat keiner Chance, irgendwen haftbar zu machen. Bisher bestand für Bohrlochbergbau keine Verpflichtung, für ihre Förderungsaktivitäten Einwirkungsbereiche zu berechnen. Das ist seit 2016 verändert, nun müssen auch die Gas- und Ölförderfirmen Einwirkungsbereiche festlegen. Dazu erarbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe des Bundeswirtschaftsministeriums bundesweit gültige Regelungen, wie das zu geschehen hat. Grundlage dafür ist die ebenfalls novellierte Einwirkungsbereiche-Bergverordnung. Nach Auskunft des Landesbergamtes wird für diese Festlegung von Einwirkungsbereichen erforderlich sein, regelmäßige Höhenmessungen vorzunehmen. Das heißt, die Firmen müssen überwachen, ob es Bodensenkungen oder andere Bodenbewegungen im Bereich ihrer Tätigkeit gibt. Die so ermittelten Datensätze sind Grundlage für die Beurteilung, ob ein festgestellter Gebäudeschaden mit der spezifischen Bergbautätigkeit in Verbindung steht und somit eine Haftung des Unternehmens vorliegen kann.

Aber das ist Zukunftsmusik. Bisher gab es diese regelmäßigen Höhenmessungen nicht, weil Gesetzgeber und Behörden entsprechende Anweisungen für nicht erforderlich hielten. Für die Vergangenheit wird es demzufolge auch keine beweiskräftigen Festlegungen von Einwirkungsbereichen bei der niedersächsischen Gas- und Ölförderung geben.

Aber auch künftig gelten die gesetzlichen Vorschriften hauptsächlich für Einwirkungen mit einerstarken makroseismischen Intensität und entsprechenden Bodenschwinggeschwindigkeiten“ (2). Konkret bedeutet das: Einwirkungsbereiche werden besonders dann bedeutsam, wenn es Erdstöße von einer Intensität gegeben hat, die bisher in norddeutschen Regionen kaum erreicht wurden. Wenn es aber stille Erdbeben gibt, also untertägige Erdbewegungen „in Zeitlupe“ und ohne spektakuläre Auswirkungen auf die Kaffeetassen im Regal, die aber auch mit Bodensenkungen einhergehen können, dann greift die bestehende Regelung meist nicht. Das wäre nur anders, wenn das Landesbergamt Gebrauch von den Möglichkeiten machen würde, Höhenmessungen weitflächiger anzuordnen, als es vermutlich nach den geltenden Regelungen demnächst vorgeschrieben wird. Davon ist aber nicht auszugehen.

Der durch die Medien gegangene Fall eines Gebäudeschadens in Seevetal, der möglicherweise von der in den fünfziger Jahren durchgeführten Sprengseismik dort ausgelöst wurde, wäre nach diesen neuen Regelungen auch nicht erfasst. Es bleibt zu beobachten, ob die neuen Regeln überhaupt einen Fortschritt bedeuten – oder ob sie eher geeignet sind, Schadenersatzansprüche in größerem Umfang abzuwehren. Die Fachleute jedenfalls streiten sich darüber. Wir Bürger stehen etwas ratlos daneben.

  1. Landzettel, G. (2017): Bundesberggesetz § 120 Bergschadensvermutung. Vortrag 29.April 2017, Verden. Der Autor ist Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht.
  2. Bergverordnung über Einwirkungsbereiche (Einwirkungsbereichs-Bergverordnung – EinwirkungsBergV) §4
  3. Dem Text liegt ein Brief- bzw. e-mail-Austausch mit dem Landesbergamt und Fachleuten aus dem Markscheidewesen und dem Rechtswesen zugrunde.

(Ingo Engelmann)

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