„Fracking zur Förderung von Schiefer- und Kohleflözgas wird es zu wirtschaftlichen Zwecken auf absehbare Zeit in Deutschland nicht geben“. So teilte es die Bunderegierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von grünen Bundestagsabgeordneten im September 2014 mit (1). Jetzt liegt der Entwurf der Bundesregierung zur Regulierung von Fracking vor, und wir müssen feststellen: Schon wenige Monate nach der zitierten Regierungs-Erklärung gilt diese nicht mehr. Es ist zwar viel die Rede von dem, was alles verboten sein soll. Interessant aber sind die Ausnahmen.
Forschung als Entschuldigung
Da ist zum einen die Ausnahme „Forschung“. Wo Fracking nicht generell erlaubt wird (erlaubt: unterhalb von 3000 Metern Tiefe, erlaubt: bei Erdölbohrungen) gibt es Ausnahmegenehmigungen für „Forschungsprojekte“. Dabei geht es aber nicht darum, dass unabhängige Wissenschaftler sich ein neutrales Bild von Risiken und Chancen neuer Technologien machen. Forschung ist hier ein zielgerichtetes Unternehmen der Wirtschaft. „Forschungsprojekte müssen von den Unternehmen beantragt und durchgeführt werden“, heißt es in der oben zitierten Antwort der Regierung. Die „Wirtschaftswoche“ fasst am 20.11.2014 zusammen: „Wenn ein Unternehmen ein Gebiet mit einem großen Vorkommen im Auge hat, kann es bei den zuständigen Berg- und Umweltbehörden im jeweiligen Bundesland einen Antrag auf eine Probebohrung stellen. Die allein schon kostet nach Branchenangaben 20 Millionen Euro. Eine Expertenkommission begleitet die Bohrung. Will das Unternehmen dann die Vorkommen kommerziell ausbeuten, muss die Kommission grünes Licht geben, Umweltauswirkungen und Erdbebengefahr müssen ausgeschlossen sein.“(2) Das heißt im Klartext: Die ganz normale Aufsuchungstätigkeit der Firmen, mit denen diese ihre Chancen untersuchen, auf Öl und Gas zu stoßen und es fördern zu können, wird künftig als Forschung deklariert. Das hat den Geruch eines schlichten Etikettenschwindels, wie wir ihn aus anderen Phasen der Fracking-Auseinandersetzungen kennen. Will man etwas durchsetzen, was keinen guten Ruf hat, benennt man es um.
Bei Erdölförderung ist (fast) alles erlaubt – auch Fracking
In ihrer Antwort auf eine noch jüngere Anfrage grüner Bundestagsabgeordneter vom 23.10.2014 erklärt die Bundesregierung, die Förderung von Erdöl sei generell auch mit Fracking-Technologie möglich. Ausgeschlossen sind Wasserschutzgebiete, ansonsten gelten lediglich die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen aber von Fracking nichts steht – also bleibt die Regulierung bei der Ölförderung noch weit hinter den löcherigen Bestimmungen für die Gasförderung zurück.
Das Verbot des Fracking in Schiefergestein soll nur für die Erdgasförderung gelten (3). Bei Erdöl gilt nur der Schutz der Wasserschutzgebiete (aber bei denen sind wir im Landkreis Harburg bisher besonders schlecht aufgestellt, siehe Beitrag auf dieser Homepage vom 23.09.2014).
Ist das wichtig? Vielleicht nicht überall, aber in verschiedenen Aufsuchungsgebieten Nordniedersachsens schon. Die Firma Kimmeridge sucht nach Öl in den Feldern Oldendorf und Lüneburg. Sie wird sich über die großzügige De-Regulierung der Ölförderung freuen. Nicht einmal die halbherzigen Regulierungsversuche beim Schiefergasfracking werden hier wirksam.
Lagerstättenwasser: weiterhin gezielte Bodenvergiftung
Über den Umgang mit Lagerstättenwasser erklärt die Bundesregierung im September: „Maßgabe für die Behandlung dieser Flüssigkeiten (Flowback und Lagerstättenwasser, d.A.) ist der Stand der Technik“ (1). Unter dem „Stand der Technik“ versteht beispielsweise das EU-Recht die „beste verfügbare Technik“, das wäre zweifelsohne die oberirdische Klärung des Lagerstättenwassers und anschließende Wiederverwendung des Wassers. Ein bedeutsamer zusätzlicher Aspekt ist aber auch die ökonomische Zumutbarkeit, und damit kommen wir in den Bereich sehr unterschiedlicher Bewertungen. Als BI sind wir fest überzeugt: eine Gefährdung des Trinkwassers ist absolut unzumutbar, daher kann der ökonomische Aufwand keinesfalls dazu dienen, riskante Versenkpraktiken beim Lagerstättenwasser zu rechtfertigen. Die Wirtschaft sieht das anders: Wenn der ökonomische Aufwand zu groß ist, können wir uns einen wirksamen Trinkwasserschutz nicht leisten – das ist dann der „Stand der Technik“ (oder besser: der Technokraten).
In seiner Antwort auf den Offenen Brief der BI an den CDU-Bundestagsabgeordneten und Fraktionsgeschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer (4) erklärt dieser: „Diskussionswürdig halte ich noch die Regelung, die für den Umgang mit Lagerstättenwasser vorgesehen ist. Hier ist geplant, dass das Lagerstättenwasser in gleiche Lagerhorizonte verpresst werden kann, aus denen es kommt. Ob das so geht, werden wir noch zu prüfen haben. Gegebenenfalls ist auch eine Aufbereitung des Lagerstättenwassers und die Zuführung in eine Kläranlage technisch machbar und deshalb zu prüfen.“
Die Strategie der Bundesregierung scheint derzeit im Gegensatz zu dieser abgewogenen Position des CDU-Mandatsträgers zu sein, die Lagerstättenwasserproblematik möglichst wenig zu erwähnen und möglichst wenig klar zu regulieren. Das entspricht der Sprachregelung großer Firmen wie Exxon: Wenn die eigene Position zu ungesichert ist oder kostenintensive Regelungen drohen, dann wird das Thema totgeschwiegen. Vielleicht merkt’s ja keiner.
Kommentar
Der Adventskalender wird in diesem Jahr umgekehrt funktionieren. Jeden Tag, wenn man ein Fensterlein öffnet, wird einem etwas weggenommen. Auch wenn es sich dabei manchmal nur um eine Hoffnung handelt – es wird immer weniger. Beim Thema Fracking erweist sich die Bundesregierung als Papiertiger. Nach außen wird laut „Verbot“ gebrüllt, aber dann knickt der Papiertiger schnell ein. Das wurde schon oft gemutmaßt, aber es schmerzt schon, wenn diese Sicht sich zunehmend als stichhaltig erweist. Die Regierung handelt nicht im Interesse der Bevölkerung und auch nicht unabhängig von direkter Einflussnahme durch Industrie und Wirtschaft, sondern sie verwaltet unser Land in deren Sinne. Sie ist nicht mehr als eine Art Personalrat des Weltmarktes für den Bereich der Bundesrepublik, der über große rhetorische Fertigkeiten verfügt, aber über wenig konkrete Einflussmöglichkeiten. Diese Entwicklung gipfelt zur Zeit in den TTIP-Verhandlungen, in denen die Wirtschaft ihre Interessen als geltendes Recht festzuschreiben versucht. In der ZEIT weist der Soziologe Brunkhorst auf, welche Wurzeln diese aktuellen wirtschaftspolitischen Entwicklungen haben, die sich auch im Feld „Fracking“ massiv auswirken (5). Seit Jahrzehnten breitet sich eine Wirtschaftsform aus, die den Markt über alles stellt, mit einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche einhergeht und bei der Interessenabwägung zwischen dem kleinen Mann und der Wirtschaft regelhaft zugunsten des Kapitals agiert. In Deutschland wurde dieser Trend mit der Agenda 2010 zum offiziellen Regierungshandeln. Sparen und Konsolidierend es Haushalts sind die Stichworte, mit denen verbrämt wird, dass auf der einen Seite (Staatsausgaben) gespart wird, aber auf der anderen (private Gewinne) explosive Zunahmen zu verzeichnen sind. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf. Umwelt, soziale Leistungen, Menschenrechte – alles wird auf den Prüfstand gestellt, und wenn es sich „nicht rechnet“, geht es den Bach runter wie das Asylrecht oder die staatliche Sicherstellung von Dienstleistungen wie Strafvollzug oder Krankenhaus. TTIP wird der Privatisierung solcher Bereiche massiv Vorschub leisten. Der Schutz von Umwelt und unserem Trinkwasser wird beachtet, wenn es sich rechnet. Immer mehr Menschen begreifen das, und deshalb werden sie Wutbürger.
(1) Bundestagsdrucksache 18/2478 vom 03.09.2014
(3) Bundestagsdrucksache 18/2829 vom 23.10.2014
(4) http://www.kein-fracking-in-der-heide.de/grosse-broemer-mdb-cdu-soll-jetzt-liefern/
(5) „Nicht von dieser Welt. Middelhoff, Juncker, Schröder, Maschmeyer – handeln die Eliten unmoralisch? Nein, aber sie entspringen ganz dem Geist einer neoliberalen Epoche“. ZEIT Nr.48, 20.November 2014, S. 52
(Ingo Engelmann)
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