Die Bundesregierung behauptet, durch neue Vorschriften und Gesetzesänderungen Fracking faktisch verboten zu haben. Vor einem dreiviertel Jahr titelten die Medien bundesweit: „Koalition einigt sich auf unbefristetes Fracking-Verbot“ (so zum Beispiel die Berliner Morgenpost) oder „Bundestag setzt Fracking-Verbot durch“ (so der Fernsehsender N24). Das war falsch. Aber es war das Ziel der Regierung: Die Bevölkerung sollte eingelullt werden.
Faktisch ist in fast allen Fördergebieten in Niedersachsen Fracking weiterhin erlaubt. Hier wird zu einem großen Teil Tight Gas gefördert, aus Sandstein. Und da darf weiterhin gefrackt werden. Es bedarf eines Antrages, der dann erörtert werden muss. Das Verfahren ist für das zuständige Landesbergamt Neuland. Bisher hatte es vergleichbare Verwaltungsverfahren in großer Wirtschaftsfreundlichkeit durchgewunken. Wenn hier nicht durch die Bevölkerung und die Bürgerinitiativen massiv dagegen gehalten wird, gibt es in den nächsten Jahren eine Flut neuer Fracking-Einsätze. Hat sich was mit „Fracking-Verbot“.
In früheren Jahren wurde im niedersächsischen Sandstein schon ca. 350 mal gefrackt. Im Vergleich zu den Frack-Paradies USA ist das ein Klacks. Ob es aber ungefährlich war, bleibt völlig offen: Man müsste über Ausgangswerte vor dem Fracken verfügen, über Monitoring-Daten und eine enge Überwachung von Boden, Grundwasser und Luft. All das gibt es nicht. Und so kann man es einfach nicht bewerten. Solange aber die erhöhten Krankheitsfälle bis hin zu tödlich verlaufenen Krebserkrankungen im Umfeld der Gasförderung nicht geklärt sind, stehen Gasförderung und Fracking weiter im Verdacht. Das deutsche Wasserrecht kennt den Besorgnisgrundsatz: Beeinflussung des Grundwassers setzt voraus, dass eine negativer Einwirkung auf das Wasser nicht befürchtet werden muss. Diese Besorgnis reicht als Grund, Maßnahmen zu verbieten. Und besorgt sind wir (auch wenn die Juristen das etwas anders meinen als wir Bürger). Und Besorgnis über die Gesundheit der Bürger sollte mindestens ebenso hoch stehen wie Besorgnis über den Gewässerzustand.
Fracking ist aber auch ein technisches Verfahren, das sich in unserer Umgebung einzunisten droht – nicht nur in der Erdgas- und Ölförderung. Beispiel 1: Tiefengeothermie. Das ist ein Zauberwort, das viele fasziniert. Es hat einen sauberen Klang, und in Deutschland verfügen wir über viel Erfahrung mit der oberflächennahen Geothermie, und das klappt dort gut. In geschlossenen Kreisläufen wird Wasser in bis zu einhundert Metern gebracht, erwärmt sich dort durch die natürliche Erdwärme und oben kann man diese thermische Energie abnehmen und verwerten.
Bei der Tiefengeothermie geht man aber in viel größere Tiefen von bis zu mehreren tausend Metern. Dort trifft man auf Gestein, das die Erdwärme nicht so ohne weiteres hergibt. Es muss aufgebrochen werden, um den Fluss von Wasser oder anderen Wärmeträgern zu ermöglichen. Und wie bricht man Gestein in dreitausend Meter auf? Natürlich durch Fracking, das heißt mit Hilfe von Chemikalien und extrem hohem Druck. Mit allen damit verbundenen Risiken für Boden und Wasser.
Abgesehen davon, dass Tiefengeothermie bisher selten erforscht und noch seltener zum Laufen gebracht werden konnte, ist in unserer Region davon auszugehen, dass das gar nicht funktionieren kann. Der hohe Salzgehalt in größerer Tiefe führt zu ständigem Verstopfen der Rohrleitungen. Das war auch die Erfahrung der Bundesanstalt für Geowissenswchaften und Rohstoffe, die 2011 in Hannover eine geothermische Modellanlage installieren wollte. Das ambitionierte Projekt musste abgebrochen werden. Dass diese Tiefengeothermie-Bohrung in 3600 m Tiefe ebenfalls gefrackt wurde, ist dem Kartenserver des Landesbergamtes zu erntnehmen. Was nach den Pleiten geothermischer Projekte im norddeutschen Raum die im Landkreis Harburg neu auftretende Ölförderfirma RDG dazu veranlasst, von einer Nachnutzung ausgeförderter Lagerstätten für Tiefengeothermie zu plaudern, ist unverständlich. Und ob die RDG-Behauptung, sie würden nicht fracken, auch für ihre Geothermie-Wolkenkuckucksheime gelten soll, ist unklar.
Beispiel 2: Leaching. Ingenieure hatten die spannende Idee, statt im Bergwerk zu den mineralhaltigen Erzen runterzuklettern und viel Abraum mit nach oben zu holen, gleich unten die Mineralien und Metalle aus dem Gestein zu lösen. Dazu braucht man viel Chemie, vor allem Säure. Dabei geht es vor allem um Salzsäure – aber sogar Flusssäure soll zum Einsatz kommen, die noch wesentlich gefährlicher ist. In Sachsen arbeitet man seit 1990 Jahren an der Sanierung eines Bleaching-Standorts (Königstein). Dort war uranhaltiges Gestein durch chemische Verfahren behandelt und das Uran an die Oberfläche gebracht worden. Der hohe Säuregehalt machte eine Flutung des vormaligen Bergwerks unmöglich, seit fast dreißig Jahren muss dort kontinuierlich abgepunpt und dekontaminiert werden, dabei fallen noch heute 50-60 Tonnen Uran im Jahr an, Ende unbekannt.
Das Biomore-Projekt (EU-gefördert) weist darauf hin, dass Leaching eine Kombination aus chemische Behandlung und „chanelling“ sei. Hinter diesem Wort verbirgt sich nichts Anders als das Aufbrechen von Gestein durch Chemie und Druck. Wir nennen das Fracking.
Beispiel 3: Die Bohrloch-Aufwältigung. Wenn eine Lagerstätte nicht mehr so sprudelt wie erforderlich, wird sie „aufgewältigt“. Sie wird aber auch gängig gemacht, wenn sich die Rohre zusetzen und verschmutzen. Die Übergänge von normaler Wartung zu technischer Förderleistungserhöhung sind absolut fließend. Wenn Bohrfirmen immer treuherzig behaupten, mindestens einmal im Jahr sei ein Frühjahrsputz erforderlich, dann kann sich dahinter eine massive Aufwältigung verbergen. Da kommt Chemie zum Einsatz, die man zumindest in diesen Mengen (tonnenweise) im Haushalt nicht haben möchte. Da wird Gas abgefackelt oder kalt einfach rausgeblasen, nicht immer mit vorgeschalteten Filteranlagen. Das ist noch nicht Fracking im engeren Sinne. Aber es handelt sich um Techniken, die damit eng verwandt und den üblen Seiten des Frackings absolut ebenbürtig sind.
Fazit: Fracking ist noch lange nicht vom Tisch, aber neben Fracking lauern viele, zum Teil sehr ähnliche Risiken bei der Gas- und Ölförderung. Daher sind wir so misstrauisch gegenüber beliebigen Floskeln bei Aussagen von Förderfirmen und bestehen auf detaillierten Informationen über Arbeits- und Betriebspläne. Daher haben wir Engie, RDG und das LBEG (NUIG-Anfrage) sowie die zuständigen Landesministerien erneut angeschrieben und werden das wiederholen, bis wir endlich Antworten in den Händen halten.
B NUIG RDG 2.5.17 (Anfrage nach Niedersächsischem Umweltinformationsgesetz beim Landesbergamt)
B Engie Brieske 2.5.17 (Nachfrage an Engie E&P)
(Ingo Engelmann)
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