Gesundheit! Tips für die Umweltministerin

In einem Offenen Brief an die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat Kathrin Otte vom Vorstand des Gemeinnützigen Netzwerks für Umweltkranke e.V. (GENUK) auf die gesundheitlichen Gefahren von Öl- und Gasbohren hingewiesen (1). Hendricks habe in einem Rundfunkinterview erklärt, sie wisse gar nicht, ob Fracking gesundheitsschädlich sei. Otte hilft der Ministerin auf die Sprünge.

Es ist ein langer Brief geworden: sechs Seiten Text, und der zehnseitige Anhang enthält einen überaus kundigen Überblick über die Quellenlage und wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema. Man kann schon sagen: Dieser Offene Brief hat Qualitäten, die manches Gutachten nicht erreicht.

Die Aspekte der Gesundheitsgefährdung werden zunächst in den Kontext der Diskussion um Fracking und Gasbohren gestellt.

• Es beginnt mit den Erdbebenrisiken – mittlerweile bestehen ja keine Zweifel mehr, dass die Erdstöße in den Niederlanden (rund um Groningen), in der Schweiz (Basel) und in Norddeutschland (Rotenburg/Wümme) mit bergbaulichen Aktivitäten zusammenhängen. Dazu gehört die Aufsuchung und Förderung von Gas und Öl ebenso wie Techniken der (z.T. frackinggestützen) Tiefengeothermie.
• Es geht weiter mit technischen Einzelheiten wie z.B. der Bohrlochintegrität. Im Landkreis Harburg gab es bisher ca. 200 Durchbohrungen der Deckschichten, der eiszeitlichen Rinnen usw. Otte verweist auf Studien, denen zufolge der Prozentsatz undichter Bohrgestänge bzw. Ummantelungen von 6% kurz nach der Inbetriebnahme im Laufe der Zeit auf 30-50% steigt.
• Der Gewässerschutz kann angesichts der Leckagen und Undichtigkeiten dauerhaft nicht gesichert werden. Die USA sind da schon „weiter“ – hunderte von verunreinigten Brunnen und Trinkwassergebieten sind zu beklagen. Wann ist es hierzulande auch soweit?
• Otte kommt dann zu ihrem zentralen Anliegen: den Gefahren des Gasbohrens für Leib und Leben der Menschen. In der Atemluft rund um US-amerikanische Bohrstellen sind erhöhte Werte für krebserregende Stoffe nachgewiesen – aber wer kontrolliert hier schon die Luft? Potenziell gefährliche Radioaktivität wird nachweislich stärker an die Oberfläche geholt. In den USA wurden gesundheitliche Beeinträchtigungen der Atemwege, Haut und Schleimhäute in der Nähe von Bohrstellen nachgewiesen, aber darüber hinaus auch erhöhte Kindersterblichkeit, höhere Notfall- und Todesraten in der Bevölkerung vor Ort. Bei uns gibt es erste besorgniserregende Fakten: in Bothel (Landkreis Rotenburg/Wümme) wurde eine hochsignifikant erhöhte Rate bei bestimmten Krebserkrankungen unter Männern gefunden. Bisher kann nicht erklärt werden, woher diese kommt: Sind die zwanzig Bohrstellen der Gasförderung in der Umgebung beteiligt? Der Verdacht allein wiegt so schwer, dass massive Anstrengungen erwartet werden müssen, die Frage zu klären. Es brauchte eine Gruppe engagierter Menschen von GENUK, dies aufzudecken und dann die Besorgnis bei uns mit Daten zu unterlegen. Wo bleiben die Behörden, was tut die Politik?

Otte stellt einen Katalog von akuten und mittelfristigen Maßnahmen zusammen,

die ergriffen werden müssen, um das Grundgesetz mit (gesundem) Leben zu erfüllen.

• Behörden und Ministerien: Zur Wahrung der körperlichen Unversehrtheit muss zu allererst sichergestellt werden, dass vorhandene Vorschriften auch eingehalten werden. Es braucht aber auch neue gesetzliche Regelungen – begonnen bei der Beweislastumkehr bis hin zur Schaffung eines Straftatbestands „Verletzung durch Umweltgifte“. Kreis- und Landesgesundheitsämter müssen gestärkt werden, um ihre Aufgaben überhaupt wahrnehmen zu können (z.B. Gesundheitsverträglichkeitsprüfungen, Modell: Sachsen-Anhalt). Ministerien müssen zusammenarbeiten, Niedersachsen bietet hier ein positives Beispiel mit einer interministeriellen Arbeitsgruppe.
• Wissenschaft und Politik: Die Forschung zur Auswirkung von Chemikalien und Strahlen steht in keinem Verhältnis zu diesen allgegenwärtigen Beeinflussungen. Die massive Erhöhung von Autoimmunerkrankungen, Allergien und Unverträglichkeiten aller Art muss besser untersucht werden. Umweltkrankheiten müssen ernst genommen und anerkannt werden. Wie viele chronische Erkrankungen werden durch Umweltbelastungen ausgelöst, und wie kann man besser vorbeugen?
• Medizin: die klinische Umweltmedizin (in Abgrenzung zur ökonomiefixierten und lobbybasierten, die Umwelt meist aussparenden Medizin unserer Tage) muss ausgebaut und in die Medizin gleichberechtigt integriert werden. Was sich heute „Umweltmedizin“ nennt, orientiert sich meist mehr an den Anforderungen der Politik als an den Interessen der Patienten. Die Krankenkassen müssen hier tätig werden – zur Zeit bleiben Behandlungskosten meist am Patienten hängen. Für viele Umwelterkrankungen bestehen wenig Behandlungsperspektiven: Es gibt Ideen, was helfen könnte, aber das Wissen ist eher noch gering. Hier bedarf es dringlich weiterer Forschung.

Nach wie vor gibt es keine belastbaren Zahlen darüber, welcher volkswirtschaftliche Schaden Jahr für Jahr durch Umweltschäden entstehen. Die Gefahren für das Trinkwasser durch die Versalzung (z.B. Kalisalzförderung und Abwasserverpressung) werden von Fachleuten auf mehrere Billionen Euro geschätzt (2). Die Kosten durch die Versalzung und allen anderen Umeltbelastungen resultierenden Gesundheitsschäden können nicht einmal geschätzt werden. Otte betont, dass die von Frau Hendricks hervorgehobene Gewerbefreiheit nicht zur Folge haben darf, dass die Gemeinschaft alle Folgen trägt, dass Menschen erkranken oder sogar sterben.

Abschließend fordert Otte die Bundesumweltministerin auf: „Beschleunigen Sie das Ende der fossilen Energiewirtschaft und legen Sie den Schwerpunkt auf eine nachhaltige, zukunftsweisende und gesunde Energieförderung.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Quelle:
(1) Offener Brief GENUK an UmwMinHendricks_Fracking_Gesetzentwurf_31.03.15.pdf
(2)http://www.aoew.de/media/Themen/Gewaesserschutz/Laugenversenkung/Krupp_Memorandum_Kalibergbau.pdf

(Ingo Engelmann – ergänzte einige kursiv gesetzte Aspekte)

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