Es wird weiter gebohrt. Und Kimmeridge muss zusehen: in direkter Nachbarschaft zum Aufsuchungsfeld Heemsen im Kreis Nienburg (Erlaubnisnehmer: Kimmeridge) darf wieder nach Öl gebohrt werden. Bewilligungsinhaber ist ein Konsortium von Wintershall und Exxon. Bei Suderbruch im Bewilligungsfeld Nienhagener Heide (Kreise Nienburg und Heidekreis) wurde schon 1949 bis 1994 Öl gefördert (1).Damaliger Förderer: BEB (Exxon/Shell). Die Förderung wurde dann eingestellt, nach Vermutungen des LBEG wegen sinkender Ölpreise. Nach einer Preissteigerung zur Zeit des Ersten Irakkrieges 1991/92 war der Preis weltweit seit 1993 zunächst wieder rückläufig. Allerdings war er spätestens im Jahr 2000 auf dem Weg nach oben schon wieder sehr weit gekommen, insofern war die Stilllegungsentscheidung vielleicht gar nicht so schlau gewesen…
Im Nachbarort Rodewald hatte Exxon ebenfalls bis 1994 Öl gefördert. Die Regionalpresse: „Auf dem Platz wurde das gesammelte Öl gereinigt und wieder abtransportiert. Über ein Ausblasrohr ist im Öl enthaltenes Gas in die Umgebung abgegeben worden. Bis 1989 gelangte so krebserregendes Benzol in die Umwelt. Fünf Milligramm Benzol pro Kubikmeter Luft waren damals erlaubt. Tatsächlich kamen laut eines TÜV-Berichts aus dem Jahr 1988 bis zu 1890 Milligramm pro Kubikmeter aus dem Rohr. Das ergeben Recherchen des NDR Fernsehen.“ (2) (3) Der NDR hatte auch darüber berichtet, dass in einem Zehnjahrszeitraum fünfmal so viel Menschen in Rodewald an Leukämie erkrankten als statistisch zu erwarten waren. Es handelt sich um den zweiten „Verdachts-Hotspot“ mit einer klärungsbedürftigen Erhöhung der Krebsrate nach den vor Monaten bekanntgewordenen Zahlen in Bothel (Kreis Rotenburg/Wümme). Exxon saniert den Bohrplatz in Rodewald seit dem letzten Jahr sehr aufwändig. Für einige möglicherweise deutlich zu spät.
Altlast-Sanierung, Verdacht auf Krebserkrankungen in Nachbarschaft zu benzolbelasteten Bohrstellen, und neue Bohrungen zur Reaktivierung der vor 20 Jahren stillgelegten Ölförderung – das alles geht nahtlos zusammen. „Wir wollen den Heimvorteil nutzen, den uns die traditionellen Erdölvorkommen in Deutschland liefern“, sagt dazu der Wintershall-Sprecher Krümpel (4). Wintershall läd ein zur Bohrplatzbesichtigung am Montag, 2.11.2015 (4).
Beruhigend wird darauf hingewiesen, dass bei dem Fördervorhaben keine Fracking-Maßnahmen geplant seien. Es ist ja nur der ganz normale Förder-Wahnsinn.
Warum funktioniert gegen diesen Wahnsinn nicht, was neoliberale Wirtschaftsfreunde immer wieder propagieren: die Marktmacht der Konsumenten? In der ZEIT stellt der Redakteur zum Thema Öl fest: „Die Nachfrage ist da.“ und fährt fort: „Um den Anstieg der Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssten mehr als 40 Prozent der Erdöl- und 80 Prozent der Kohlevorräte im Boden bleiben.“ (5) Die Konsumenten müssten ihre Macht gezielter nutzen. Das wäre sicher schön. Es funktioniert aber unter anderem nicht, weil die großen Konzerne seit Jahrzehnten eine gezielte Desinformation betreiben, um der Bevölkerung die existenzbedrohte Lage der Welt (und was die Konzerne mit dem Gas und Öl zu der Existenzbedrohung beitragen) zu verheimlichen. Allen voran Exxon. Motto: den Verbraucher dumm halten heißt Bilanzgewinne steigern.
Vor kurzem erschienen in den USA mehrere Artikel darüber, wie verstrickt Exxon in die gefährliche Verhinderung einer wirksamen Klimapolitik ist (6) (7). Zur Vorgeschichte: seit den sechziger Jahren hatte Exxon in aufwändigen Forschungsprojekten die Zusammenhänge zwischen Klimaentwicklung und ihrer eigenen Geschäftstätigkeit untersucht. Damit war die Forschungsabteilung von Exxon den verheerenden Auswirkungen des Gas- und Öl-Verbrauchs auf die Spuren gekommen und hatte darüber in den achtziger Jahren nachweislich dem Vorstand und den Verantwortlichen berichtet. Exxon-Verantwortliche dürften damit zu den Kreisen gehört haben, die als erste (und quasi exklusiv) über die Gefahren im Bilde waren, die aus der ungebremsten Nutzung fossiler Energieträger (Kohle, Gas, Öl) für das Weltklima erwachsen. Welche Schlussfolgerung zogen die Verantwortlichen?
Wenn man den renommierten Journalisten folgt (unter ihnen Pulitzer-Preisträger und andere renommierte Journalisten), dann dachten die Exxon-Leute erst Mal voll Sorge über die Geschichte des Ozonlochs nach. Das Bekanntwerden dieses Phänomens hatte letztendlich ein Verbot von FCKWs zur Folge, einen Sieg der Verbraucher und Umweltschützer. Die Industrie hat das ziemlich genervt. Sollte man also riskieren, mit dem Phänomen „Klimawandel“ ein neues Stichwort zu liefern, mit dem dann eine schwer zu kanalisierende Verbraucher-Dynamik angeschoben werden könnte? Was auch immer dabei herauskäme – es würde die Bilanzen von Exxon belasten.
Also verhinderte man, dass die Erkenntnisse über den bevorstehenden Klimawandel (die nicht zuletzt Exxon selbst herausgefunden hatte) an der Öffentlichkeit bekannt wurden oder doch zumindest möglichst nicht ernst genommen wurden. Damit erhielten sie nicht die Brisanz und die politische Dringlichkeit, die ihnen zugestanden hätte. Exxon sorgte mit jahrelanger intensiver Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit dafür, dass die Ergebnisse der warnenden Klimaforscher entwertet und relativiert wurden, stellte den Klimawandel infrage und gründete scheinwissenschaftliche Komitees, die gegen die Klimaforscher polemnisierten. Zudem sorgte Exxon für eine effektive Verzögerung durch immer neue Forschungspläne – und das Ganze im Wissen darum, dass für effektive Maßnahmen wenig Zeit blieb. Das hat in den letzten zwanzig Jahren entscheidend dazu beigetragen, dass (vor allem in den USA) große Teile der Bevölkerung gleichgültig blieben gegenüber den Bedrohungen ihrer Welt.
Der renommierte Umweltpublizist und -aktivist Bill McKibben, der 2014 den alternativen Nobelpreis („Right Livelihood Award“) erhalten hat, formuliert seine Meinung dazu im englischen „Guardian“ vor wenigen Tagen so: „Businesses misbehave all the time, but VW is the flea to Exxon’s elephant. No corporation has ever done anything this big and this bad. (…) the truth: this company had the singular capacity to change the course of world history for the better and instead it changed that course for the infinitely worse. In its greed Exxon helped — more than any other institution — to kill our planet.“(8)
Sinngemäß also: Unternehmen benehmen sich überall daneben. Aber VW ist eine Mücke gegen den Elefanten Exxon. Kein Unternehmen hat jemals in so großem Umfang so viel Unheil angerichtet. Exxon hätte die einzigartige Chance gehabt, die Entwicklung der Welt zum Besseren zu wenden. Stattdessen änderten sie sie zum schlechtest Möglichen.
Das ist mit ein Grund, weshalb nicht längst die Menschen Exxon, Shell und Konsorten das Handwerk gelegt haben: Die Konzerne lassen sich nicht in die Karten gucken. Sie leugnen, dass sie Karten in der Hand haben. Sie tun, als würden sie gar kein Kartenspiel kennen. Und dann fangen sie wieder an zu bohren und „nutzen ihren Heimvorteil“. Am 2.11.2015 (16-20 Uhr) kann man Wintershall und Exxon in Suderbruch dabei auf die Finger gucken. Könnte interessant sein.
-
http://www.lbeg.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/titel-137921.html
-
https://www.kreiszeitung.de/lokales/nienburg/neues-erkrankungen-steimbke-5551581.html
- http://www.theguardian.com/environment/2015/oct/14/exxons-climate-lie-change-global-warming
(Ingo Engelmann)
Pingback: 2jeffrey