In Niedersachsen droht die Fortführung der Fracking-Technologie durch Neudefinition: der Umweltminister schreibt unkonventionelle Lagerstätten in konventionelle um und nimmt so scheinbar Rücksicht auf seine Parteibasis.
Bisher galt von Bürgerinitiativen bis zur gasfördernden Industrie ein Konsens: es gibt konventionelle Lagerstätten, aus denen vorwiegend in den vergangenen Jahrzehnten Erdöl und Erdgas gefördert wurden, und unkonventionelle Lagerstätten. Diese unkonventionellen Lager gibt es in drei verschiedenen Gesteinsformationen: in Schiefer (shale gas), in dichtem Gestein wie z.B. Sandstein in großer Tiefe ab 4000 Meter (tight gas) sowie in Kohleflözen, wie sie in Nordrhein-Westfalen vorkommen. So sieht es z.B. Exxon : „Unkonventionelles Erdgas ist ein Sammelbegriff für Schiefergas, Tight Gas und Kohleflözgas.“ (1).
Das macht Sinn: im Gegensatz zu den bisher ausgebeuteten Quellen sind die unkonventionellen Vorräte schlecht zu erreichen und sie spielten daher bis zur Jahrtausendwende keine große Rolle. Erst mit der Entwicklung des hydraulic fracturing und der Horizontalbohrtechnik änderte sich das. Mit den neuen Techniken konnte man Gas auch aus Schiefer und Sandstein herauszerren.
In der Politik ist der Ruf des fracking denkbar schlecht, nicht zuletzt weil es so schlechte Umfragewerte in der Bevölkerung hat. Die Grünen in Niedersachsen (wo sie den Umweltminister in der rotgrünen Koalition stellen) haben eine Entschließung gefasst, nach der sie die „Aufsuchung und Förderung von unkonventionellen Erdgasvorkommen strikt ablehnen“. Bisher bedeutete das: hydraulic fracturing ist ausgeschlossen.
Nun schreibt der grüne Umweltminister Stefan Wenzel: „Der Landesregierung ist jedoch daran gelegen, die Nutzung erschlossener Erdgasvorkommen (tight gas) und die damit verbundene konventionelle Erdgasproduktion aufrecht zu erhalten, was ggf. auch den weiteren Einsatz der Frac-Technologie erfordert“ (2). Damit wäre der Basis gedient, denn tight gas ist plötzlich nicht mehr unkonventionell und der Minister entspricht damit der grünen Beschlusslage. Es wäre aber auch den Erdgasfirmen gedient. Wintershall ist dabei schon lange auf der Seite des Ministers:
„In konventionellen Lagerstätten ist das Erdgas zwar nicht entstanden, aber es ist dort hin migriert und gespeichert. Das Gestein dieser Lagerstätten hat eine unterschiedliche Durchlässigkeit. Bei Gas aus sehr gering durchlässigem Gestein spricht man von Tight Gas. Anders ist es in unkonventionellen Lagerstätten. Hier befindet sich das Erdgas in Schichten, in denen es auch entstanden ist („Muttergestein“)…Hydraulic Fracturing kann als Fördermethode sowohl bei konventionellen als auch bei unkonventionellen Lagerstätten erforderlich sein.“ (3) So heißt es auf einer Internetseite, hinter deren unverfänglichen Namen „Heimische Förderung“ sich Wintershall verbirgt.
Die niedersächsischen Grünen müssen sich fragen lassen, ob sie sich so plump hinters Licht führen lassen wollen. Der Umweltminister muss sich fragen lassen, ob er von allen guten Geistern verlassen ist. Die Bürgerinitiativen müssen sich fragen, mit wem sie sich überhaupt noch an einen Tisch setzen können. Insofern ist es eine gewisse Erleichterung, dass die Verteter der Bürgerinitiativen (z.B. Oliver Kalusch, Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz) von weiteren Verhandlungen über neue Umweltverträglichkeitsrichtlinien ausgeschlossen sein soll… Aber im Ernst: dass der Rollback noch vor Bekanntgabe des neuen Kabinetts in Berlin derart schnell vor sich gehen würde und alle politischen Lager ergreift, das hätten viele so nicht vorausgesagt.
Es geht um die Wende zu erneuerbaren Energien. Vielleicht brauchen wir aber auch erneuerbare Minister.
Nachtrag (15.12.2013)
Der „Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung“ (weg) teilte auf Anfrage der Rotenburger BI mit, dass die „Abgrenzung konventionell/unkonventionell Veränderungen unterworfen“ sei. „Was vor 20 Jahren als neu und unkonventionell galt, ist heute bereits etabliert und bewährt“. Das gelte insbesondere für die seit langem ausgebeuteten Tightgas-Vorräte. Diese unterschieden sich „nicht von den gut durchlässigen Sandsteinen, allerdings wird für wirtschaftliche Produktionsraten in diesen dichten Gesteinsformationen das Frac-Verfahren eingesetzt. In Niedersachsen wurde dies schon mehr als 300 mal sicher durchgeführt. Während für diese Lagerstätten in Deutschland jahrzehntelange Erfahrungen vorliegen, gibt es hier noch wenig Erfahrungen mit Erdgaslagerstätten in Schiefergesteinen. Diese weisen eine noch wesentlich höhere Dichte als die Sandsteine auf. Ohne das Frac-Verfahren wird es nicht möglich sein, die in Deutschland vorhandenen Potenziale zu nutzen.“
Merke, erstens: wenn man die Diskussion nur lange genug verwirrt, kann man die Sprachregelung nahezu unbemerkt verändern und eine neue Wirklichkeit schaffen. Plötzlich seien alle Tightgas-Vorräte in Niedersachsen konventionell, und da sei das Fracking „erfahrungsgemäß“ ungefährlich.
Merke, zweitens: Die BI „Kein Fracking in der Heide“ spricht sich sowohl gegen Gasbohren bei unkonventionellen als auch bei konventionellen Lagern aus. Außerdem lehnt sie auch die Ölbohrungen ab – zuminmdest solange für die Lagerstättenwasser keine geeignete und nachhaltige Lösung gefunden ist.
(1)
http://www.europaunkonventionelleserdgas.de/home/unkonventionelles-gas/uber-unkonventionelle-gas
(2)
http://www.bbu-online.de/presseerklaerungen/prmitteilungen/PR%202013/04.12.13.html
(3)