Offener Brief an die Panorama-Redaktion
In Ihrer Sendung „Angst vor Fracking“ in der Sendereihe „Panorama – Die Reporter“ vom 9.9.2014 präsentieren Sie eine tendenziöse Propaganda-Show für die Förderung von Erdgas aus Schiefergestein. Nur Deutschland mäkele am Fracking, der Rest der Welt sei in Aufbruchstimmung – diese irreführende Geisterfahrer-Szenerie wird gleich eingangs beschworen. Sollten wir tatsächlich auf der falschen Richtungsfahrbahn sein?
Sie wollen mit Interviews und Filmsequenzen deutlich machen: Die Bürger sind irregeleitet, die Politiker voreingenommen und unbelehrbar, nur ein paar Wissenschaftler und Exxon geleiten die Bürger in eine bessere Zukunft – mit Fracking in Schiefergestein.
Und das sei gar nicht gefährlich, beteuern Ihre Gewährsleute. Prof. Kümpel, Chef der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, verkündete: Erdbeben werden durch Fracking nicht ausgelöst, sondern durch die herkömmliche Öl- und Gasförderung. Tatsache ist: Der Frackvorgang selbst wird selten die Erde zum Erzittern bringen. Aber die Entnahme von Gas und Öl (die auf Fracking notwendig folgt), die lässt die Erde beben. Ob dieser feine Unterschied die Bürger interessiert, wenn sich Risse in ihrer Hauswand bilden – und sie der Bohrfirma nachweisen müssen, dass sie mit der Gasförderung dafür verantwortlich sei? Auch Uwe Dannwolf, Mitautor des UBA-Gutachtens und Kopf der Beratungsfirma RiskCom, betont: die herkömmliche Gasförderung berge stärkere Risiken als die Fracking-Technologie. Nur: Schon seit langem haben sich die BIs auf diesen Tatbestand eingestellt und fordern den Abschied von der gesamten Öl- und Gasförderung. Fracking ist ein unkalkulierbares Teil-Risiko einer insgesamt schädlichen Nutzung der fossilen Brennstoffe. Kohle, Öl und Gas sind die Energieträger von gestern.
Interessant ist die Frage, worüber der Bericht schweigt. Das Thema „Lagerstättenwasser“ wird mit einem mageren Hinweis
auf die beschwichtigende Position von Experten abgehandelt, das sei unbedenklich. Weiter nichts. Dem widersprechen alle Wissenschaftler, mit denen wir gesprochen und die auf unseren Veranstaltungen referiert haben (mit Professorentiteln können wir auch wedeln). Tatsächlich ist das uns ein zentrales Problem: Was machen wir denn mit dem Abwasser, das bei jeder Öl- und Gasförderung mit nach oben gebracht wird und nicht in normalen Kläranlagen entsorgt werden darf, weil es zu salzig und zu giftig ist? Gas- und Ölförderung verwandeln Kubikmeter um Kubikmeter sauberen Trinkwassers, die für die Technologie benötigt werden, in giftiges Lagerstättenwasser. Dieses wird dann wieder in alte Bohrlöcher verpresst. Konservative Schätzungen gehen von 4-6% Leckagen an den Bohrlöchern aus, andere sprechen von über 20%. Das verdreckte Wasser muss gar nicht immer durch tausende Meter dichtes Gestein, wie Herr Dannwolf suggeriert. Es geht einfach daneben, gluckert raus, und es fragt nicht danach, ob es jetzt vielleicht gerade in einem Grundwasserhorizont tröpfelt und fließt. Es beruhigt uns nicht, wenn Herr Kümpel von der BGR zugesteht, in den USA seien „am Anfang“ Fehler gemacht worden. Wenn jetzt bei uns zu fracken begonnen werden soll, können wir uns keine „Anfangsfehler“ leisten. Wir wollen kein Benzol im Trinkwasser und kein Quecksilber im Boden und in der Luft.
In unserer Nachbarschaft erfahren wir jede Woche von neuen Überraschungen: Lagerstättenwasser wird mitten in einem Hamburger Wohngebiet versenkt, bei uns um die Ecke gab es 2008 einen Lagerstättenwasser-Unfall (von dem keiner hier im Landkreis was weiß oder wissen will), um die andere Ecke ist eine ehemalige Versenkstelle noch heute benzolkontaminiert, Exxon fängt unvermutet schon mal mit seismischen Bohrungen an, wo eigentlich eine ganz andere Firma die Aufsuchungserlaubnis hat – die Geheimnistuerei und Täuschung der Bevölkerung durch Behörden und Firmen ist unglaublich. Und dann sehe ich in Ihrem Film, wie Herr Kassner und seine Mitarbeiter von Exxon ein Schnapsglas Frack-Fluid trinken, in dem „nur“ Cholinchlorid und Butylglykol sind. Sie trinken einen Schluck, und sehen immer noch blühend aus. Der Anteil von 0,2 % dieser in der EU-Gefahrstoffkennzeichnung als „reizend“ und „gesundheitsschädlich“ klassifizierten Chemikalien am Frack-Fluid machen in dem Schnapsglas vielleicht wirklich keine echte „Gefahr“ aus. Aber im Millionen-Liter-Fluid eines echten Fracks gibt es zwei Tonnen dieser Chemikalien. Da werde ich schon ganz blass. Ein Teil der Chemie kommt wieder nach oben, ein Teil bleibt unten. Wo unten? Leckt da was? Frac-Fluid ist eben nicht nur Wasser und Sand (wie es in einem Ihrer Sätze heißt). Selbst wenn später die Bestandteile in der soften Exxon-Version noch genannt werden, ein solcher Satz steht da und ist ungeheuerlich. Seriöse Berichterstattung geht anders.
Ebenso mieser Journalismus wie die Frack-Sause von Herrn Kassner ist die Szene mit dem amerikanischen Professor Engelder, der in der „Appalachian Basin Black Shale Group“ Schulter an Schulter mit der Gasindustrie steht. Engelder zertrümmert eine Schieferplatte und schnuppert daran: „Ich mag diesen Geruch der aromatischen Bestandteile“, freut er sich, und beruhigt, Fracking werde nie völlig sicher sein, das sei so wie bei allen Technologien. Da hat sich ihr Reporter an Bildern so besoffen, dass ihm die Inhalte im Kopf verschwommen sind.
Panorama hat sich wie andere Magazine der ARD und wie das NDR-Fernsehen in der Vergangenheit wenig um die Bürger-Bewegung gegen Gas- und Ölförderung gekümmert. Nun besetzen sie in einem populistischen Rundumschlag die Position der Industrie. „Wir könnten von Russlands Gas unabhängiger werden“ – schon im letzten Jahr hat der Sachverständigenrat des Bundesumweltministeriums diese Aussagen entkräftet. Seitdem ist diese Stammtischthese eigentlich aus der ernsthaften Diskussion verschwunden. Sie benutzen sie als Fazit ihrer halbstündigen Werbeschau. Wir bleiben dabei: Öl und Gas taugen nicht als Brückentechnologie, die deutschen Vorräte unter unseren Füßen sind klein und selbst eine rücksichtslose Förderung würde uns nicht weiter bringen. Dafür wollen wir keine Risiken hinnehmen. Wir kümmern uns um eine nachhaltige Wende zu neuen Energien bei gleichzeitiger Energieeinsparung.
Ingo Engelmann
Sprecherat „Kein Fracking in der Heide“
Bürgerinitiative für den Landkreis Harburg
Nachtrag:
Mittlerweile hat Panorama geantwortet, in einer Standardmail an alle Zuschauer, die reagiert haben ( das scheinen eine ganze Menge geween zu sein). Die Panorama-Reaktion:
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,
haben Sie vielen Dank für die vielen Anmerkungen, Zuschriften und Posts zu unserer Fracking-Berichterstattung. Wegen der Vielzahl der Zuschriften können wir nicht auf alle einzeln antworten. Da sich aber die Kernargumente wiederholen, möchten wir hier auf die wichtigsten eingehen.
Ein wiederholt geäußerter Kritikpunkt war, dass wir auf die Vorteile des Frackings zu wenig eingegangen sind: größere Unabhängigkeit von Putins Gas und Förderung der Energiewende (Gas ist die optimale Brückentechnologie, solange etwa Wind- oder Solarstrom nicht gespeichert werden können). Diesen Punkt haben wir deshalb verkürzt, um möglichst viel Zeit für eine wissenschaftliche und fundierte Bewertung der tatsächlichen Risiken von Fracking zu haben.
Diese Bewertung wollen wir hier nicht wiederholen – wir möchten Sie auf unsere Stellungnahmen und Interviews bzw. weiterführende Materialien auf unserer Homepage verweisen. Bei der Reaktion darauf fällt das Maulwurfhügel-Prinzip auf: Kaum ist ein Kritikpunkt widerlegt, taucht ein neuer, meist noch abstruserer auf.
So kann Fracking nach Ansicht einer Bürgerinitiative (www.gegen-gasbohren.de) zur Erhöhung der Krimininalitätsrate bzw. zu sexueller Gewalt führen. Damit nicht genug. Im Weiteren schreibt uns der „1. Vorsitzende“: „Die ständige Lichtbelastung aus der Beleuchtung während der Nacht ist mit nachteiligen Gesundheitseffekten verbunden, einschließlich Brustkrebs.“
Auf einen weiteren ähnlich abstrusen Kritikpunkt möchten wir hier ebenso eingehen. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) veröffentlichte einen Kommentar zu unserer Berichterstattung und unterstellte uns Pro-Fracking-Propaganda (www.gegen-gasbohren.de). Dem möchten wir deutlich entgegentreten: Niemand bestreitet, dass Fracking auch Risiken birgt – etwa das im Beitrag dargestellte Problem des Lagerstättenwassers -, und niemand bestreitet, dass es zu Problemen und Kontaminationen gekommen ist – und kommen kann.
Die Frage ist einfach, ob die Risiken beim Fracking signifikant höher sind als bei anderen Arten der Förderung fossiler Energien. Und in dieser Frage gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens, dass dies nicht so ist. Nicht mehr und nicht weniger haben wir berichtet. Das mag zwar einigen Bürgerinitiativen nicht gefallen, daraus aber gleich eine wie auch immer geartete Propaganda bzw. Verschwörung abzuleiten, spricht Bände.
Der BBU schreibt, dass zu „einer lebendigen Demokratie kontroverse Ansichten“ gehören, um nur wenige Absätze später zu betonen, dass Panorama sein bisheriges Vorgehen überdenken solle, denn eine „Rückkehr zu einem seriösen Journalismus“ sei jederzeit möglich.
Dazu ist anzumerken, dass wir dieses Verst ändnis von Journalismus nicht teilen, denn danach findet seriöser Journalismus offenbar nur dann statt, wenn er bereits fest definierte Urteile kritiklos nachbetet.
Der BBU mag zwar zu der Erkenntnis kommen, Fracking für unbeherrschbar zu halten. Diese Position ist jedem unbenommen, nur sollte man vielleicht im Sinne einer kontroversen und lebendigen Debatte anmerken, dass diese Position von der herrschenden Meinung der Wissenschaft sowie von vielen relevanten Gutachten nicht gedeckt ist. Zur Kritik des Umweltbundesamtes lesen Sie bitte unsere separate Stellungnahme (http://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Alles-andere-als-irrefuehrend,fracking592.html).
In der Hoffnung auf eine offene und sachliche Debatte,
Ihre PANORAMA-Redaktion
Unsere Reaktion darauf:
Liebe Panorama-Redaktion,
diese Stellungnahme hätten Sie besser unterlassen oder noch mal drüber schlafen sollen. Die Gehässigkeit und Häme in Diktion und Argumentation drängt sich immer wieder in den Vordergrund. Es gibt nicht einfach Argumente der anderen Seite, sondern diese sind abstrus und werden „meist noch abstruser“. Ich kenne wenige Begriffe, die in meinem Verständnis diffamierender wären als „abstrus“ in Bezug auf das, was ich vorbringe. Sie haben offensichtlich einfach nicht verstanden, dass wir als BI „Kein Fracking in der Heide“ in anderthalbjähriger Beschäftigung mit dem Thema festgestellt haben, das es nicht im Zentrum um die Gefährlichkeit von Fracking allein geht, sondern um die Risiken fossiler Energieträger allgemein und insbesondere des Gasbohrens inklusive der Lagerstättenwasserproblematik. Dass Sie in dem Beitrag vom 9.9.14 das Problem des Lagerstättenwassers dargestellt hätten, ist einfach erfunden – Sie haben es erwähnt und Entwarnung suggeriert. Das war alles. Sie bestimmen nicht, was die „herrschende“ (sic!) Meinung der Wissenschaft ist und was nicht. Sie tun aber so. Solche Verirrungen sind es, die uns von miserablem Journalismus sprechen lassen (ganz zu schweigen von einem wenig überzeugenden Gebrauch der Sprache).
Gruß
I. Engelmann
Zweiter Nachtrag:
Aus einem Bericht des Deutschlandfunks:
Schaut man sich den Gutachter Dannwolf und seine Firma RiskCom GmbH genauer an, stößt man jedenfalls auf einige interessante Details. So hat Dannwolf bis kurz vor der Gründung der RiskCom GmbH als Geschäftsführer des Frankfurter Büros der britischen AMEC gearbeitet, einem bedeutenden Zulieferer und Dienstleister der Öl- und Gasindustrie. Zu den größten Kunden der AMEC gehört ExxonMobil. Auch die beiden Mitarbeiterinnen von Dannwolf haben vor ihrer Tätigkeit für RiskCom mehr als zehn Jahre bei AMEC gearbeitet. Dannwolf selbst hatte zudem seit 1995 auch bei den Firmen URS und ERM gearbeitet, die ebenfalls bedeutende Dienstleister u.a. für die Öl- und Gasindustrie sind. In sein Team für das UBA-Gutachten hatte sich Dannwolf schließlich insgesamt vier Experten geholt, die zuvor bereits an einem von Exxon in Auftrag gegebenen und finanzierten Fracking-Gutachten beteiligt waren.
Auffällig ist auch, dass sich die wissenschaftliche Expertise von Dannwolf nur schwer nachprüfen lässt. Bei einer Stichprobe konnten z.B. trotz professioneller Recherche von 18 überprüften Publikationen nur neun ausfindig gemacht werden, acht waren nicht auffindbar, ein Artikel war eine Dublette. Die auf der Web-Seite angegebenen Referenzprojekte waren ebenfalls meist nicht verifizierbar. Uwe Dannwolf lehnte ein Interview ab. Schriftlich erklärte er zu seiner früheren Tätigkeit lediglich, dass es sich dabei „ausschließlich um Umweltberatung“ gehandelt und es „keine Berührungspunkte mit den erdöl- und erdgasnahen Abteilungen bei AMEC“ gegeben habe.
http://www.deutschlandfunk.de/fracking-wie-unabhaengig-sind-die-gutachter.697.de.html?dram%3Aarticle_id=299221
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