Stellen Sie sich den sachlichen Kritikpunkten, Herr MdB Westphal!

Lieber Herr Westphal,
Sie haben sich gestern einen Abend lang Zeit genommen für die Diskussion mit Bürgern des Landkreises Harburg über das Thema „Fracking bei uns?“. Es waren drei, vier Dutzend Interessierte gekommen. Sie haben auf einen langatmigen Einführungsvortrag verzichtet und sich in die Beantwortung der Bürgerfragen gestürzt. Das verdient Respekt.

Aber im Verlauf des Abends gab es eigentlich nur Halbwahrheiten von Ihrer Seite, Floskeln und gebetsmühlenartig wiederholte Behauptungen.

Was war zu beanstanden?

– Sie wiederholten die bekannten Beschwichtigungen über angeblich lagerstättenwasserfreie Schiefergesteine. Von einem Zuhörer wurde die besondere Geologie des Untergrunds in ganz Deutschland angeführt: viele Störungen, d.h. Rissbildungen in an sich dichten Schichten, und dünne Schieferformationen von oft nur 20 Meter Mächtigkeit. Jeder Frack erzeugt hier eine Spaltenbildung, die mehr oder weniger weit in die umgebenden, wasserführenden Schichten hineinreicht – und schon strömt das Wasser ein, was dann als Lagerstättenwasser mit gefördert wird. In den USA sind die Schieferschichten deutlich dicker, und trotzdem haben die frackinggestützten Gasförderungen mit erheblichen Lagerstättenwasser-Aufkommen zu kämpfen. Die Argumentation schien sie zu überfordern. Ihr Appell an die Industrie, in solchem Fall die Ausbildung von Frack-Spalten über das Schiefergestein hinaus zu vermeiden, wirkte etwas hilflos – und dürfte kaum umsetzbar sein. Unkommentiert ließen Sie die Prognosen von BI-Vertretern, dass die vier Projekte für Probe-Fracks sicher in Regionen durchgeführt werden, in denen keine geologischen (Alltags-)Probleme zu erwarten sind. Die spätere Alltagspraxis würde dann ganz anders aussehen.
– Ihre Gewissheit, dass die Frack-Flüssigkeit vom Lagerstättenwasser mit seinen gelösten Giftstoffen (Radionukleide, Quecksilber, Arsen, Schwermetalle usw.) oberirdisch getrennt wird, bevor es dann wieder im Boden versenkt wird, überzeugt nicht. Wenn die immensen Kosten für diese bisher im industriellen Maßstab nicht erprobten Verfahren in das geförderte Gas und Öl eingepreist wird, wären diese nicht mehr konkurrenzfähig. Vielleicht erledigt sich auf diese Weise auch die Fracking-Frage… aber das hatten Sie wohl nicht gemeint. BIs sind gespannt, welche Hintertüren die Industrie aus dem durch den Gesetzestext gegebenen Dilemma finden wird.
– Das Märchen von der Brückentechnologie wird von Ihnen seit Jahren auch in Bundestagsreden unablässig wiederholt. Sie scheinen da wenig beeinflussbar durch den Sachverständigenrat des Umweltministeriums, der schon 2013 festgestellt hat, dass Erdgasfracking als Brückentechnologie ungeeignet sei. Ebenso stellte die Präsidentin des Umweltbundesamtes bei der Vorstellung des UBA-Gutachtens 2014 fest, dass Fracking nicht brückentechnisch die Energiewende befördern könne. Der amerikanische Klimawissenschaftler Howarth von der renommierten Cornell University nennt es daher eine Brücke ins Nichts („a bridge to nowhere“ (1)).
– Aus dem Publikum wurde die unselige Rolle des bei Gasförderung und Fracking entweichenden Methan angesprochen. Es ist in den ersten zehn Jahren nach Ausstoß hundert Mal mal schädlicher für das Klima als CO². Schon bei der normalen Gasförderung entweicht Methan in erheblichem Umfang, und bei frackinggestützten Förderstellen steigt der Anteil des entweichenden Methans auf bis zu 12% der geförderten Menge (2). Die von Ihnen als Entgegnung angeführte Methan- Belastung durch Viehzucht wird von Wissenschaftlern wie dem zitierten Robert Howarth für weniger schädlich gehalten als die Belastung durch die Gasförderung.
– Sie wiesen darauf hin, dass das Leben eine riskante Angelegenheit sei. Es gebe daher auch keine Technologie, die keine Risiken beinhalte. Schon bei unserem ersten Treffen mit dem Leitenden Bergdirektor Söntgerath vom Landesbergamt vor einigen Jahren wies der darauf hin, dass man ja auf der Treppe stolpern und stürzen könne, wenn man jetzt rausgeht, und wollte damit beschwichtigen: Man solte die Risiken des Lebens nicht überbewerten, es passiert oder es passiert nicht, der Mensche denkt und Gott lenkt. Oder, wie Sie vielleicht sagen würden: Vor der Hacke ist es duster. Schlechter ist allerdings, wenn es auch vor der Nase duster ist.
– Sie forderten zu einer faktenorientierten Debatte auf (und meinten damit, die Kritiker würden zu wenig auf Fakten blicken). Fakt sei: in den letzten fünfzig Jahren wurden keine gravierenden und systematischen Verunreinigungen von Grundwasser nachgewiesen. Fakt ist aber: Es hat jahrzehntelang niemand danach gesucht. Die Zusammensetzung der Lagerstättenwässer ist unbekannt. Wie sich die Stoffe im Untergrund verändern (Druck, Hitze) kann kein Chemiker vorhersagen. Die Wasserversorger schweigen sich aus über mögliche Feststellungen, die sie darüber in ihren qualitätssichernden Untersuchungen gemacht haben. Nach Verunreinigungen des Boden wird erst gesucht, seitdem vor Jahren Bürgerinitiativen und Umeltverbände entsprechende Messungen vorgenommen und alarmierende Werte gefunden haben. Luftuntersuchungen hat man noch gar nicht gemacht. Untersuchungen zu Gesundheitsrisiken laufen langsam an, nachdem jetzt beunruhigende Krebsraten in Gasförderregionen nachgewiesen wurden. Der passende Scherz ist alt, aber immer noch treffend: Wenn einer aus dem vierzigsten Stockwerk fällt und am dritten Stockwerk vorbeifliegt, sagt er: Bis jetzt ist ja alles gut gegangen.
– Sie beschwören die Leistungen der Vergangenheit, um sie in die Zukunft fortzuschreiben. „Blauer Himmel über der Ruhr“ statt rauchender Schlote, das war eine gigantische Leistung der sechziger und siebziger Jahre. Zustimmung! So soll es nun aber immer weitergehen: mit Augenmaß, im Tempo der Industrie. Dabei übersehen Sie, dass die Herausforderungen wie auch die Risiken sich gewandelt haben. Schwerstarbeit ist in Deutschland weniger geworden, weil Bergbau und Schwerindustrie zurückgefahren oder outgesourced worden sind. Die Drecksarbeit macht man heute eher in Afrika und Asien. Die Belastungen sind hier und heute sind anders. Zeitdruck, Erreichbarkeit, Flexibilisierung um jeden Preis (Home-Office kennt keinen Feierabend) stressen die Menschen, und Autoimmun- und Krebserkrankungen nehmen ebenso zu wie psychische Belastungen. Früher sagte man dazu „Entfremdung“, „Bindungslosigkeit“ konstatieren die Psychologen, usw. usw.. Da muss man sich mit ganz neuen Fragen herumschlagen. Mit einer Fortschreibung der Rezepte aus dem letzten Jahrhundert kommt man hier nicht weiter.
– Den Hinweis auf die massive Subventionierung von Ölfirmen kontern Sie mit „das ist doch ganz normale Infrastrukturförderung, das wird überall so gemacht“. Wenn Der Großkonzern Engie im Landkreis Harburg das Grundwasser für seine Betriebsabläufe gratis entnimmt (Millionen Kubikmeter), keine Gebühren dafür bezahlt (wie sonst jeder Bürger), dann ist das eine beinharte Bezuschussung privater Gewinnschöpfung. Kann ja sein, dass man das so will (Sie das so wollen). Aber dann sollte man es auch klar benennen.
– Ihre abschließende Drohung, die heimische Gasförderung solle auf 20% des hier benötigten Gasbedarfs erhöht werden (also ihr Anteil nahezu verdoppelt werden), ist eine beherzte Fracking-Ankündigung. Denn die ausgequetschten deutschen Lagerstätten sind nur noch mit verstärkten Aufwältigungen weiter ausbeutbar. Ohne Fracking geht da wenig, zu wenig zumindest für solche hohen Zielsetzungen.

Schlussfolgerung aus dieser Veranstaltung: Wenn sie nicht mehr weiter wissen, fordern Sie Rückkehr zur Sachlichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh draus: wir von den Bürgerinitiativen fordern Sie nachdrücklich auf, sich den Fakten aus Wissenschaft und Praxis zu stellen und nicht zu beschönigen und zu beschwichtigen. Kommen Sie mit auf den Weg zu mehr Transparenz, zu einer faktenbasierten Debatte! Diese werden wir gern mit Ihnen zukünftig führen.

Mit freundlichen Grüßen
Ingo Engelmann

(1) http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ese3.35/full
(2) http://www.eeb.cornell.edu/howarth/publications/f_EECT-61539-perspectives-on-air-emissions-of-methane-and-climatic-warmin_100815_27470.pdf
(3) https://www.heise.de/newsticker/meldung/Energiebilanz-2015-Hoeherer-Energieverbrauch-groesserer-Oekostromanteil-Hoechststand-im-3065279.html

Dieser Text wurde als Offener Brief an den Referenten Bernd Westphal und die einladende Svenja Stadler, beide Mitglieder der SPOD-Fraktion im Deutschen Bundestag, gesendet.

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