Altlasten aus Öl- und Gasförderung an allen Ecken und Enden – NDR-Fernsehen 3.11.14, 20:15
(Leicht gekürzte Version des „Markt“-Berichtes aus „Hallo Niedersachsen“ am 3.11.14 um 19:30: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Giftiger-Bohrschlamm-Sorge-ums-Grundwasser,hallonds24242.html
Seit über dreißig Jahren werde „gefrackt“ und bisher sei doch nichts passiert. Dieses Argument hörte man landauf, landab seit Jahren sowohl aus der Öl- und Gas-Industrie als auch aus der Politik. Jetzt zeigt sich immer häufiger: Vorfälle gab es schon immer, Altlasten sind überall, nur es hat keiner hingeguckt.
„Friedrich-Otto Ripke (CDU) erinnerte im Fachausschuss daran, dass in der Schothenheide bei Ahlden in den 60er Jahren das letzte Frackingverfahren stattgefunden habe. Damals seien alle Viehtränken im Gebiet belastet und nicht mehr nutzbar gewesen.“(1) So stand es vor einem Jahr in der Walsroder Zeitung. Die angesprochene Region liegt im Heidekreis, nahe dem Safari-Park.
Zeitzeugen berichten von Lagerstättenwasser-Verunreinigungen im Feld Sinstorf an der niedersächsich-hamburgischen Landesgrenze. Auf Nachfrage beim Landesbergamt wurde ein Vorfall im Jahr 2008 benannt, aber nicht da, wo Zeitzeugen ihre Beobachtungen gemacht haben. Gab es verschiedene Vorfälle? (2)
Die Quecksilberuntersuchungen von NABU und BIs im Kreis Rotenburg und im Heidekreis haben zu einer erheblichen Ausweitung der amtlichen Nachforschungen durch das LBEG geführt
. Bis vor einem halben Jahr war das überhaupt kein Thema gewesen. Nun wird fieberhaft gemessen. (3)
Transportleitungen für Lagerstättenwasser aus ungeeigneten PE-Rohren hatten erhöhte Benzol-Werte im umgebenden Boden zur Folge. Die Rohrstrecken, bei denen das gemessen wurde, werden ausgetauscht. Aber es stellt sich die Frage, ob nicht alle PE-Rohre ausgewechselt werden müssen, ehe an anderen Stellen auch noch Schäden entstehen. Autofirmen rufen tausende von Wagen zurück, wenn es einzelne Schadensfälle gegeben hat, und warten nicht, bis die Kupplung auch noch hier und da versagt. Die Frage nach dem Austausch aller Rohre wurde uns vom Exxon-Vertreter auf einer Veranstaltung im September nicht beantwortet. Es soll totgeschwiegen werden, dass hier eine Zeitbombe weiter in den normalen Förderbetrieb eingebaut bleibt.
Und nun der Bohrschlamm. Alte Bohrlöcher sind zum einem erheblichen Anteil nicht oder nicht gut gesichert, die Betondeckelungen sind zerbröselt, nichts hindert den in der Tiefe bzw. knapp unter der Oberfläche verbuddelten Bohrschlamm daran, Grund- und Trinkwasser zu vergiften. Ob bei den Wasserversorgern schon mal erhöhte Benzol- oder BTX-Werte aufgetaucht sind, wissen wir nicht – das Endprodukt, das aus unseren Wasserhähnen kommt, ist sicher unbedenklich (und sehr gut). Aber was am Anfang dieser Wasserbereitung für Probleme stehen, ist doch irgendwie ein Betriebsgeheimnis, so der Eindruck vieler BI-ler.
Die Bohrstelle nördlich von Stemmen wurde bis in die 80er Jahre ausgefördert und dann einige Jahre später aus der Bergüberwachung entlassen. Seitdem hat sich wohl keiner mehr Gedanken darum gemacht. Allerdings: Einige, die in der Gegend wohnen, fanden Vegetation und Gerüche bei oberflächlichem Aufkratzen des Bodens ungewöhnlich. Mitteilungen an zuständige Stellen wie Verwaltungen des Kreises und des Landes hatten keine Wirkung. Auf unsere persönliche Mitteilung an den niedersächsischen Wirtschaftsminister hin wurde das Landesbergamt losgeschickt. Und dann sind da wohl zwei Mitarbeiter bei schönstem Sommerwetter über die Wiesen gewandert, haben sich an den Bienenstöcken dort gefreut und ihrer Nase vertraut: Es war nichts zu riechen. Dass wenige Dezimeter unter ihren Füssen besorgniserregende Benzol-Konzentrationen lagerten, rochen sie nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass sie es auch gar nicht wirklich wissen wollten.
Am 26. Juni 2014 schrieb Wirtschaftsminister Lies unserer BI unter Hinweis auf die über dreißig Jahre alte Geschichte der Erdgasförderung in Niedersachsen: „In dieser Zeit sind in Niedersachsen über 300 Frac-Behandlungen durchgeführt worden, so das beim Einsatz dieser Technologie auf langjährige Erfahrungen und entsprechende Fachkenntnisse zurückgegriffen werden kann.“ Für die BIs aber steht fest: alle Erfahrungen mit Technologie sind müßig, wenn einfache Grundlagen wie Sicherung aufgegebener Bohrplätze nicht sachgerecht durchgeführt werden. Ingenieursleistungen sind nicht mehr gefragt, wenn das Diktat der Ökonomie die billigste Lösung erzwingt. Im Übrigen sprach Minister Lies schon kurze Zeit später selbst von „jahrzehntelang totgeschwiegenen Problemen“ (4). In der Zwischenzeit hatte es mehrere Gespräche mit BIs und einen (wie man hört, auch Lies-kritischen) Landesparteitag der SPD gegeben. Was hat gewirkt?
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Über die Gefahr der alten Bohrschlämme in unseren Böden berichtet das Magazin „Markt“ im NDR-Fernsehen am Montag, 3. November 2014, um 20:15. Bei den Recherchen zu dem Beitrag ermittelten vom NDR beauftragte Labors, dass die Benzol-Konzentration am Naturschutzgebiet Tister Bauernmoor um das Zehnfache über die Grenzwerte hinausschießt. (5)
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Fazit (vorläufiges): Das Gerede von „Es ist doch bisher alles gut gegangen“ wird durch das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung, hartnäckige BIs und durch einige engagierte Politiker in Frage gestellt. Die Kontrolle, die eigentlich durch das LBEG ausgeübt werden soll (das da aber zu oft versagt) wird von der Bevölkerung wahrgenommen. Wir bleiben wachsam, ob das auch Auswirkungen hat (oder nur zu vorübergehender Medien-Aufregung führt).
(1) http://www.wz-net.de/index.php?&kat=10&red=21&artikel=110307920&archiv=1
(2) Bescheid des LBEG auf NUIG-Anfrage vom 29.07.2014
(3) Zahlreiche Pressemitteilungen im www, z.B. : http://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Uebersicht/Niedersachsen-will-alle-Erdgasfelder-auf-Quecksilber-ueberpruefen-lassen
(4) http://haz.wefind.de/wfhaz-webapp/hazSearch/search?query=Fracking+Lies&resultSize=3&cpi=1
(5) http://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Giftiger-Bohrschlamm-in-Niedersachsen,bohrschlamm102.html
(Ingo Engelmann)
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