Die Wassermühler Karoxbostel liegt ein paar hundert Meter außerhalb des Förderbewilligungsfeldes Meckelfeld, wo heute noch Öl aus der Erde geholt wird. Ein passender Ort für eine Bestandsaufnahme, die die Bürgerinitiative „Kein Fracking in der Heide“ auf ihrer Informationsveranstaltung am 17.3.2015 vornahm. Renate Maass trug vor, was sie herausgefunden hatte und was Informationsstand der BI ist:
Seit den dreißiger Jahren wird in Norden des Landkreises Harburg Öl gefördert. Es gibt die Bewilligungsfelder Sottorf/Fleestedt, Sinstorf und Meckelfeld. Die Bezeichnung Sinstorf verweist darauf, dass dieses Feld zum größeren Teil im Land Hamburg liegt, ein Zipfel reicht nach Süden in den Landkreis. Auch aus dem Feld Meckelfeld verläuft der bergbauliche Sektor weiter nördlich der Elbe nach Fünfhausen und Ochsenwerder, dort liegen die Felder Reitbrook und Bergedorf. Die Bohrungen heißen im Landkreis nach den Dörfern in der Nähe, in der Stadt heißen sie alle „Groß Hamburg“ mit einer Ordnungszahl. Klingt doch schon ganz anders als Tötensen, Maschen oder Leversen. Der Bereich Sottorf, wo 1968 die Bohrungen begonnen haben und seit Jahrzehnteneine Million Kubikmeter Öl in Kavernen gelagert wird, war in den siebziger Jahren als möglicher Standort für Endlagerung von Atommüll im Gespräch. Man ist dann doch von der Großstadt etwas weiter weg gegangen…
Viele der Bohrstellen sind heute stillgelegt. Die Bewilligungen bestehen aber weiter, sie liegen in den Händen von Gas de France Suez (GdF) und BEB, einer gemeinsamen Tochter von Shell und Exxon. Die Bewilligungsfelder sind nicht Bestandteil des sie umgebenden Aufsuchungsfeldes Oldendorf, für den die amerikanische Kimmeridge mit ihrem deutschen Ableger zuständig ist. Auch Kimmeridge richtet das Augenmerk auf die noch im Boden verbliebenen Reste der Öllagerstätten,
die früher so lange ausgebeutet wurden, wie man damals mit der Technik kam. Meist sind diese Lagerstätten nur zu 30-40% ausgefördert, es bleibt also noch eine Menge übrig. Man hofft, die Bohrplätze mit Fracking noch einmal aktivieren und weiter ausquetschen zu können. Die aktuellen Verfahren der Ölförderung („enhanced oil recovery“ EOR, d.h. verbesserte Öl-Gewinnung) umfassen verschiedene Techniken einschließlich Horizontalbohrung, Fracking und andere unterstützende Maßnahmen.
Die geologische Situation im Kreis Harburg ist zugleich förderlich für die Ölgewinnung, aber auch empfindlich. An vielen Stellen hat die tiefe Salzschicht sich nach oben ausgestülpt und Salzdome („Diapire“) gebildet. Stellenweise durchstößt so ein Diapir sogar die Oberfläche (Lüneburg, Segeberg) und wird zum Kalkberg. Aber auch wo sie nicht ganz so hoch wachsen, veränderrn sie den Untergrund erheblich. Die Tonschicht, die die Trinkwassergewinnungsebene einschließlich der eizeitlichen Rinnen von den tieferen, salzigeren Erdschichten trennen, werden verschoben und es entstehen Bruchkanten, die die Durchlässigkeit der Tonschicht verändern und oft vergrößern. Die vrschobenen Erdschichten führen aber auch zu den „Ölfallen“, in denen sich der gesuchte Kohlenwasserstoff in flüssiger Form ansammelt. Sie werden angebohrt und das Öl wird gefördert. Salzdiapire sind aber keine besonders verlässlichen Erdformationen, sie fließen und passen sich der Umgebung stärker an als andere Gesteinsschichten. Kurz: das Geschehen unter der Erde wird durch sie unberechenbarer. Renate Maass konnte mit geologischen Schnitten durch die Bewilligungsfelder Meckelfeld und Sottorf zeigen, dass hier Diapire bis kurz unter die Erdoberfläche reichen. Jede Bohrung durch die deckenden Tonschichten in den salzigen Untergrund vergrößert die Chance, dass die Grundwasserschichten mit salzigen Aquiferen in Kontakt kommen (Wegsamkeiten am Bohrgestänge, Undichtigkeiten usw.). Salz ist sowieso das Thema unserer Region, es gibt größere Flächen erhöhter Versalzung auch in oberflächennahen Wasserleitern. Außerdem kommen auch von oben Salze hinzu (Gülle, Dünger usw.), und auch die Vertiefung der Elbe führt dazu, dass salziges Meerwasser weiter stromaufwärts gelangt. Lübeck braucht Trinkwasser aus Hamburg (Großhansdorf), weil es selbst versalzen ist. Hamburg holt Ersatz für sich das nach Lübeck verkaufte Wasser aus der Heide. Alles hängt mit allem zusammen…
Auf den Schnitten durch den Untergrund kann man gut sehen, dass die ölführenden Schichten in der Nähe der Diapire noch weiter nach oben gedrängt werden. Zum Teil reicht das bis in eine Tiefe von nur tausend Meter, zum Teil liegen die Öllagerstätten in zweitausend Meter Tiefe. Das wird spätestens dann bedeutsam, wenn die neue Strategie greift, man wolle Lagerstättenwasser in die Lagerstätten zurückbringen, aus denen Öl gefördert wurde. Oft war dann in den letzten Jahren die Rede davon, das werde ja dann in der Regel fünftausend Meter tief sein und sicher wie in Abrahams Schoß. Bei uns heißt das: das giftig Lagerstättenwasser landet viel zu nahe an den trinkwasserführenden Schichten – und zwar da, wo durch Diapirbildung vielfältige Brüche und Wegsamkeiten auftreten. Das beruhigt uns gar nicht.
Das Lagerstättenwasser spielt bei der Ölförderung im Kreis Harburg eine erhebliche Rolle. Die geförderte Flüssigkeit enthält in den Bohrquellen von GdF nur 10% bis maximal 20% Öl, der Rest ist Tiefenwasser mit all den bekannten Inhaltsstoffen wie Benzol, Arsen, Quecksilber, Radionukleide usw. In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Lagerstättenwasser an mehreren Stellen im Landkreis Harburg versenkt. Die Bohrstellen H1, H2 und H3 liegen auf den Wiesen nördlich der Strraße „Hinter der Bahn“ am Güterbahnhof Maschen, nahe dem Ashausener Mühlengraben. Dort wurden Riesenmengen an Lagerstättenwasser in die Erde versenkt. Renate Maass hat errechnet, dass diese Menge ausreicht, um die Binnenalster und die Außenalster zu füllen, dazu noch den Außenmühlenteich – und obendrein noch einmal die Binnenalster. Insgesamt sind dort über acht Millionen Kubikmeter versenkt worden. Mittlerweile sind die Versenkstellen außer Betrieb, das Lagerstättenwasser gelangt per Pipeline nach Hamburg und wird in Sinstorfer Wohngebieten verpresst.
Renate Maass wies auf einen „Nebeneffekt“ für den Trinkwasserhaushalt hin. Die Firmen begründen das Versenken des Lagerstättenwassers damit, dass im Untergrund dadurch Druck erzeugt wird, der das restliche Öl in Richtung auf die Bohrstelle zu treibt. Wenn durch die Ölentnahme aber zwischen 10% und 20% weniger an Masse verfügbar ist, muss das Lagerstättenwasser durch Trinkwasser „gestreckt“ werden. Das wird ein Grund mit sein, weshalb die Ölfirmen einen eigenen Brunnen brauchen, wenn sie zu arbeiten anfangen. Neben den Wassermengen, die für die Techniken der EOR eingesetzt werden, braucht man auch noch Trinkwasser, um die Erde damit aufzufüllen. Uns ist dazu unser Wasser zu schade. Mit dem Trinkwasser, das über Jahrzehnte zum Auffüllen des Lagerstättenwassers eingesetzt wurde, kann man einen großen Teil von Seevetal mit Trinkwasser versorgen (genauer: ca. 75%).
Bei dem Brunnen beginnen erfahrungsgemäß die Auseinandersetzungen. Im Nachbarlandkreis Rotenburg haben sich alle Gemeinden gegen Fracking ausgesprochen und es formiert sich der Widerstand auch in den kommunalen Gremien. So war es nur folgerichtig, dass eine (wenn auch knappe) Mehrheit im Kreistag die Genehmigung für den Brunnenbau verweigerte, mit dem die Firma PRD nahe dem Hatzter Moor bei Sittensen seine Ölförderung vorbereiten möchte. Nun ist es kompliziert, jemandem einen Brunnenbau zu verweigern – denn zunächst spielt es keine Rolle, was er später damit vorhat. Aber es ist ein angemessenes Zeichen, dass die Gas- und Ölförderung bei uns unerwünscht ist. In diesem Sinne forderte Renate Maass im Namen der BI „Kein Fracking in der Heide“ alle Zuhörer und Mitdiskutanten auf der Veranstaltung auf, ihre Kommunalvertreter anzusprechen und sie für das Thema zu sensibilisieren. Zu der Veranstaltung waren leider nur eine Handvoll Kommunalpolitiker erschienen (aber immerhin – sie waren herzlich willkommen). Wenn jeder der sechzig Veranstaltungsteilnehmer sechs weitere anspricht, und jeder davon wieder…
Abschließend wurde auch verwiesen auf die wichtige Funktion von Augenzeugenberichten beispielsweise beim Auffinden von Bohrschlammgruben. Es gibt kaum Unterlagen in den Behörden, und mit großer Sicherheit liegen noch verschiedene Altlasten auch im Landkreis Harburg. Viele können nur gefunden und untersucht werden, wenn Bürger sich erinnern: da war doch damals diese Kuhle neben der Bohrstelle in… Mehrere Hinweise erhielten wir auch auf dieser Veranstaltung, und wir werden ihnen nachgehen bzw. die Behörden (Landesbergamt, Kreisverwaltung) entsprechend einschalten.
(Ingo Engelmann)
Pingback: 2sticker